piwik no script img

Der verspätete Schiedsspruch von Brčko

■ Die Stadt wird ein eigenständiger, multiethnischer Distrikt. Nominell bleibt sie Teil der Republika Srpska. Doch wenn die Serben sich querstellen, fällt sie an die Föderation

Sarajevo (taz) – In Dayton haben 1995 alle Parteien zugestimmt, den Status der bosnischen Stadt Brčko endgültig erst durch einen Schiedsspruch der internationalen Seite festlegen zu lassen. Dieser Schiedsspruch sollte nach einem Jahr erfolgen und bindend für beide Seiten sein. Die Entscheidung über die politische Zukunft der zwischen der bosniakisch- kroatischen Föderation und der Republika Srpska umstrittenen Stadt ist mehrmals verschoben worden. Das 1992 von den Serben eroberte Brčko verbindet die von ihnen kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Osten Bosniens.

Am vergangenen Freitag nachmittag ist der Schiedsspruch durch den internationalen Vermittler, den US-Amerikaner RobertB. Owen, endlich erfolgt. Nach dieser Entscheidung wird die Stadt Brčko zu einem multiethnischen, demokratischen, eigenständigen Distrikt mit eigener Verwaltung und eigenen Polizeikräften ausgebaut. Beide Seiten haben gleichermaßen Zutritt, die Vertriebenen sollen zurückkehren können. Die ursprünglichen Gemeindegrenzen werden wiederhergestellt.

Da die Frontlinien und die Demarkationslinie nach dem Abkommen von Dayton mitten durch das Territorium der ehemaligen Gemeinde verliefen, kommt dieser Entscheidung große Bedeutung zu. Beide Seiten müssen also Territorium an den Distrikt Brčko abgeben. Die internationale Administration und die Friedenstruppen kontrollieren diesen Prozeß.

Mit der internationalen Verwaltung sollte schon seit 1997 die Lage in Brčko beruhigt werden. Der US-Amerikaner Robert Ferrand wurde zum Administrator bestimmt und hat seitdem versucht, in einer Politik der kleinen Schritte das Politikum Brčko zu entschärfen. Langsam sollten eine gemeinsame Verwaltung und eine gemeinsame Polizei unter Aufsicht der internationalen Polzeikräfte IPTF aufgebaut werden, die Flüchtlinge sollten zurückkehren können.

Die internationale Politik wurde immer wieder von den serbischen Extremisten hintertrieben. Deshalb wird in dem Schiedsspruch die Schuld an ihrem Scheitern den serbischen Extremisten der Radikalen Partei unter ihrem Vorsitzender Nikola Poplašen und der Karadžić-Partei SDS angelastet. Ausdrücklich betont wird in dem Papier, daß mit dem moderaten serbischen Premierminister Milorad Dodik eine andere Lösung hätte gefunden werden können. Hätte dieser sich durchsetzen können, wäre die Stadt Brčko an die Republika Srpska gefallen.

In der Erklärung Owens wird betont, daß es „keinen Gewinner und keinen Verlierer“ gibt. Die Entscheidung sei vielmehr eine Chance, „einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen“ und im Interesse der Bewohner vorzugehen. Dazu gehörten auch die serbischen Flüchtlinge, die seit 1995 in Brčko wohnen. Betont wird ihr Recht, in ihre ursprünglichen Heimatorte in der Region um Sarajevo zurückzukehren. Kritisiert wird, daß die Behörden in Sarajevo ihre Verpflichtungen nicht erfüllt hätten, diese Flüchtlinge zurückkehren zu lassen.

Brčko bleibt nominell Teil der Republika Srpska, die Bewegungsfreiheit ist garantiert, Serben werden in der Gemeindeverwaltung und im Gemeinderat stark vertreten sein, sie werden an den Wahlen in der Republika Srpska teilnehmen können. Aber die internationalen Truppen und Polizeikräfte haben das Recht, den militärischen Verkehr zu kontrollieren. Brčko wird demilitarisiert.

Explizit ist eine Drohung ausgesprochen: Wenn die Umsetzung des Abkommens durch eine Seite blockiert würde, dann könnte die internationale Gemeinschaft die Kontrolle der Stadt der Gegenseite zusprechen. Im Klartext: Blockieren die Serben weiter, wird Brčko Teil der bosniakisch-kroatischen Föderation. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen