: Mehr Tugenden – wohl dosiert
Linke Bildungsgutachter fordern solideres Wissen und Tugenden für Schüler. Listige Kombination für die multikulturelle und die Leistungsgesellschaft ■ Von Christian Füller
Berlin (taz) – Jetzt wollen auch die Linken mehr „Tugenden“ in der Schule und eine „solidere Wissensvermittlung“. In ihrem dritten Gutachten forderten die „Sachverständigen“ der Bildungsgewerkschaft GEW und der Hans-Böckler-Stiftung gestern in Bonn, daß „Lernen Strukturen und Regeln, Ruhe und Konzentration“ brauche. „Ziel ist eine größere Verbindlichkeit des Lernens, denn Zweck der Schule ist es, daß Schüler etwas lernen“, heißt es in dem 36seitigen Papier. Solcherlei war bislang Domäne der Konservativen und Rohrstockpädagogen.
Nicht zum ersten Mal sind die Sachverständigen – der ehemalige GEW-Chef Dieter Wunder und die Grüne Sybille Volkholz, Ex- Schulsenatorin Berlins – angeeckt. Bereits ihre Vorschläge zu einer partiellen finanziellen Beteiligung Studierender an ihren Ausbildungskosten hatte letzten Oktober für einen Aufschrei unter Gewerkschaftern und Studenten gesorgt. Das wird diesmal anders.
Die jetzt bekanntgemachten Vorstellungen über „Jugend, Bildung und Zivilgesellschaft“ sind nämlich in eine umfassende Analyse eingebettet. Danach hätten sich die Lern- und Lebensbedingungen der Menschen heute gravierend geändert. „Jugendliche stehen unter einem ganz anderen Konkurrenzdruck als früher“, nannte die Volkholz nur ein Beispiel. „Das bedeutet: Schule muß die Schüler handlungsfähig machen“, sagte die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion in Berlin.
Mit zwei neuen Leitbildern soll Schule dieses Ziel nach Ansicht der Gutachter erfüllen: Kinder und Jugendliche sollen erstens lernen, mit Differenz in der Gesellschaft umzugehen; dazu zählt der Unterschied zwischen Mann und Frau ebenso wie die multikulturelle Gesellschaft oder soziale Ungleichheit.
Im Zentrum des Lernens stehe künftig zweitens das „Prinzip der Verantwortung“. Die Gutachter Wunder und Volkholz, die zu einem Gremium renommierter Bildungspraktiker gehören, wollen zu Verantwortung erziehen, indem sie die Jugendlichen mit Entscheidungen konfrontieren. Schüler sollen über ihren Weg durch Haupt-, Realschule oder Gymnasium befinden. Sie sollen aber auch Verantwortung außerhalb der Schule übernehmen – etwa bei Patenschaften mit Einrichtungen wie Altenheimen, Sozialstationen oder Umweltgruppen.
Deutlicher als bei ihrem letzten Gutachten zur Bildungsfinanzierung setzten sich Volkholz und Wunder diesmal von den konservativen Liebhabern ihrer Thesen ab. „Wir halten viel davon, wenn klassische Tugenden gelernt werden“, schmeichelte Volkholz dem deutschen Kanon von Gehorsam und Pflicht. „Aber heute ist mehr als Pünktlichkeit gefragt – die Leute müssen handlungsfähig werden“, setzte sie sogleich hinzu.
Die von den Gutachtern erzielbaren Veränderungen werden sich ohnehin in Grenzen halten. Bildung ist Ländersache, und mehr als den Kultusministern ihre Thesen zu schicken, können die Tabubrecher zunächst nicht machen. Für Diskussionsstoff ist allerdings gesorgt: Die schärfsten Kritiker der Gutachter sind regelmäßig – ihre Auftraggeber, die GEW.
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