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Der vom Begehren lebt

Marcus Hiller, einst Speerspitze von „Mehr Demokratie“ in Hamburg, führt seit gestern Bürgerbegehren nur noch gegen Bares durch  ■ Von Elke Spanner

Das studentische Image soll weichen. Im neueingerichteten Büro an der Elbstraße steht links noch der alte Computerbildschirm, beklebt mit Aufklebern und Cartoons, daneben bereits ein neues Designer-Modell in transparentem Türkis. Mit seinen 30 Jahren, so findet Marcus Hiller, sei er auch in ein Alter gekommen, in dem man „nicht mehr mit matschigen Schuhen durchs Haus“ laufen sollte.

Jahrelang setzte er sich mit dem Verein „Mehr Demokratie“ für Bürgerbegehren in Hamburg ein. Seine politische Arbeit wurde zunächst zur Diplomarbeit, jetzt stellt sie sich rückblickend als Vorstufe zum Beruf dar: Hiller macht seit gestern „Direkte Demokratie“ zur käuflichen Dienstleistung.

Reibungslos wie die Räder eines Zahnrades fügt sich eine Etappe seines Lebens in die nächste. Sorgen lassen sich in Hillers jungenhaft-weichem Gesicht nicht ablesen. Im rotgeklinkerten Reihenhaus in Eidelstedt ist er aufgewachsen, jetzt wohnt er dort in einer Wohngemeinschaft. Daheim em-pfängt er Besuch in Puschen und einem derben Wollpulli, der wie selbstgestrickt wirkt. Im Büro schimmert ein rosa Hemd unter dem dunkelblauen Anzug hervor.

Die Idee, vom Begehren zu leben, hatte „meine Mutti“. Die nämlich hatte sich Gedanken gemacht, was werden soll aus ihrem Sohn, jetzt, da sein Politikstudium so kurz vor dem Abschluß steht. Gemeinsam hatten sie voriges Jahr Unterschriften für die Einführung von Volksbegehren in Hamburg gesammelt und Flugblätter verteilt. Eines Tages fand die Mutter dann, „das wär doch was zum Geldverdienen“, und ihr Sohn fand das auch.

Andere haben ihre Zweifel. Michael Effler zum Beispiel, sein jahrelanger Mitstreiter bei „Mehr Demokratie“. Er verspürt „Bauchschmerzen“ beim Gedanken daran, daß Hiller nun Geld verdienen will mit etwas, was sie jahrelang aus Überzeugung taten. „Hiller läßt sich jetzt anheuern für bestimmte Projekte, während wir den Leuten nur das Instrumentarium dafür bieten wollen, selbst tätig zu werden“, sagt Effler.

Beim Verein „Mehr Demokratie“ führt Effler die Beratung weiterhin kostenlos durch. Er glaubt, die Karrierepläne hätten Hiller zumindest „Sympathien gekostet“. Die Initiativen, die zu ihm kämen, hätten „in der Regel auch kein Geld“.

Bei Hiller ist das Honorar Verhandlungssache. Dafür stellt er sich dann auch höchstselbst auf die Straße und sammelt Unterschriften. Die Mitglieder des Bürgerbegehrens „Rettet das Elbufer“ etwa haben beschlossen, daß „jeder sagt, was ihm die Sache wert ist“, erzählt Klaus Soyk von der Initiative. Er findet es legitim, sich „bei starken Gegnern professioneller Hilfe zu bedienen“. Profi ist Hiller zweifellos. Er nennt sich selbst „Fachmann für direkt-demokratische Verfahren“. Als solcher will er „nur Bürgerbegehren übernehmen, von denen ich politisch überzeugt bin“, sagt er. Allerdings ist er auch davon überzeugt, daß die Bürger mündig sind und schon berechtigte Gründe haben werden, wenn sie sich politisch engagieren. Deshalb „muß es schon etwas sehr abstruses sein, wenn ich etwas nicht durchführe“.

Als Klientel infrage kämen private Initiativen, Organisationen – oder auch Parteien. „Von mir aus auch gerne eine Oppositionspartei“, sagt Hiller, selbst SPD-Mitglied. „In Hessen hat sich ja gezeigt, daß es klappt, wenn man sich direkt an die Bürger wendet.“

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