Kommentar: Zwischen Programmatik und Realität
■ Die Grünen und die Waffenexporte in die Türkei
Der Berg an Kompromissen, der sich vor den Bündnisgrünen auftürmt, wird mit jedem Tag ihrer Regierungstätigkeit höher und höher. Nach dem Atomausstieg und dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht wird bald auch die Frage der Rüstungsexporte die grünen Grundsätze belasten. Eine Voranfrage der deutschen Rüstungsindustrie für den Export von 200 Schützenpanzern in die Türkei und den weiteren Bau von 1.800 Lizenzpanzern östlich des Bosporus ist vom Bundessicherheitsrat zunächst auf Eis gelegt worden, ein von der alten Regierung eingefädeltes U-Boot- Geschäft mit der Türkei, das durch Bundesbürgschaften abgesichert wird, konnte Rot-Grün nicht mehr verhindern. Der Ernstfall ist also noch nicht eingetreten.
Doch wird man den Eindruck nicht los, die Akteure seien in eine beklemmende Starre angesichts des Themas verfallen. Dabei haben sich SPD und Grüne im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Einhaltung elementarer Menschenrechte in den Empfängerländern als „zusätzliches Entscheidungskriterium“ für Waffenexporte einzuführen. Dies ist eine Chance für die Grünen, mit der so viel beschworenen Kontinuität in der Außenpolitik zu brechen. Ein Stopp deutscher Waffenexporte wäre ein Zeichen an Ankara, daß die Kritik an der türkischen Kurdenpolitik nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.
Auf einer restriktiven Auslegung gegenüber Staaten zu beharren, die es mit den Menschenrechten nicht allzu ernst nehmen, liegt im ureigenen Interesse der Grünen. Die Partei, die mit hehren moralischen Zielen gegründet wurde, hat ihren Moralismus im Laufe der Jahre immer mehr ins Naturschutzreservoir gestellt. Das war, wie bei der Abkehr vom Prinzip der Gewaltlosigkeit im Falle der Balkankonflikte, notwendig und richtig, weil das Beharren auf der Moral der 80er nur Tatenlosigkeit und damit neue Unmoral hervorrief. Auch bei den Rüstungsexporten beugten sich die Grünen ein Stück weit den bitteren Notwendigkeiten der Realpolitik – spätestens mit Abschluß des Koalitionsvertrages. Der dort verfaßte Kompromiß schließt den Verkauf von Waffen nicht grundsätzlich aus. Er läßt aber Raum, den Export zu überprüfen und notfalls zu verhindern. Ein solcher befristeter Stopp würde zumindest im Kern jenen moralischen Anspruch erhalten, mit dem die Grünen sich einst von den anderen Parteien unterscheiden wollten.
Severin Weiland Bericht Seite 2
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