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Die Berliner wissen alles besser

■ Seit den Kurdenprotesten tobt in Berlin eine Debatte über die Hauptstadtfähigkeit der Polizei. Der Bonner Polizeipräsident Dierk Henning-Schnitzler plädiert für mehr Augenmaß und weniger Aufrüstung

taz: Sie sind seit fünf Jahren Polizeipräsident von Bonn. Hat Sie die Verantwortung für die Sicherheit des Regierungsviertels jemals schlaflose Nächte gekostet?

Dierk Henning-Schnitzler: Eindeutig nein. Es gibt natürlich Ups und Downs und besondere Situationen.

Wie war die Lage in Bonn, als die Kurden gegen die Verschleppung des PKK-Führers Öcalan prostestierten?

Wir haben den Verlauf ruhig gehalten. An der israelischen Botschaft mußten wir sehr wenig sperren.

Haben Sie ein Geheimrezept?

Nein. lacht. Wir erzählen doch dauernd von der Bonner Linie oder von der Linie des Landes Nordrhein-Westfalen. Das ist nichts anderes als eine Ausprägung des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Mitteln. Das heißt: nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Wenn ich eine Situation habe, die polizeirechtlich oder strafrechtlich aufgelöst werden kann, werde ich immer versuchen, sie polizeirechtlich aufzulösen.

Ebenso wie ihr Vorgänger gelten Sie als strikter Befürworter der Deeskalationsstrategie.

Stimmt. Was natürlich nicht heißt, daß man gar nichts tut. Im Zusammenhang mit den Kurdenprotesten hatten wir in Bonn zwei besetzte Botschaften. Die griechische und die kenianische. Dabei sind auch ein paar Scheiben kaputtgegangen. Aber wir haben keinen Bürgerkrieg daraus gemacht, sondern haben geredet und geredet und geredet, bis wir sie raus hatten. Und dann haben wir jeden Besetzer aufgeschrieben, alle Namen sind notiert.

In Berlin sind bei der Besetzung des israelischen Generalkonsulats vier Kurden um Leben gekommen. Was unterscheidet die Sicherheitslage in Berlin von der in Bonn?

Was die Beurteilung der konkreten Situation am Generalkonsulat angeht, erschiene es mir unfair, über die Berliner Kollegen herzuziehen. Berlin ist mehr als zehnmal so groß wie Bonn. Das bedingt, daß die örtlichen Gegebenheiten natürlich völlig anders sind als bei uns. In Bonn liegen 113 von 153 Botschaften und dazugehörende Residenzen im Bereich einer Polizeiinspektion, die seit den 50er Jahren für den Schutz der Regierung und Diplomatie zuständig ist. Der Bundesgrenzschutz hilft uns bei statischen Lagen, zum Beispiel beim Schutz der Bannmeile. Das Ganze läuft unter der Kontrolle der Bonner Polizei, die Zusammenarbeit ist unwahrscheinlich gut.

Wie steht es mit dem Erfahrungsaustausch zwischen Berlin und Bonn, was die Arbeit der Polizei angeht?

1993 war eine Abordnung des Personalrats der Berliner Polizei bei den Bonner Kollegen. Die Delegation hatte sich eigentlich für vier oder fünf Tage angesagt, um sich mal anzugucken, wie das in Bonn alles so läuft. Sie ist nach anderthalb Tagen abgefahren und hat gesagt: „Alles nüscht für uns, alles viel zu klein.“ Im vorigen Jahr waren mehrere hochrangige Beamte der Berliner Verkehrspolizei bei uns, um sich schlau zu machen. Sie haben von vorherein gewußt, daß sie das erstens alles anders und zweitens alles viel besser machen würden.

Hatten Sie den Eindruck, daß die Berliner die Nase reichlich hoch trugen?

Ja. Es geschah nach dem Motto: Was wollt ihr Zwerge uns denn sagen? Das habe ich zur Kenntnis genommen. Aber das führt mich zu einem weiteren Unterschied zwischen Bonn und Berlin. Dem Mentalitätsunterschied. Das Rheinland wird ja gern als jeckisch betrachtet. Damit können wir prima leben. Aber weil wir prima mit solchen Adjektiven leben können, nehmen wir viele Sachen auch nicht so fürchterlich ernst. Unsere Aufgaben schon, aber unsere Devise ist: Leben und leben lassen, komm mal rüber und so. Meine gern stattfindenden Besuche in der Hauptstadt zeigen mir immer wieder, daß Geduld nicht die am höchsten entwickelte Eigenschaft in Berlin ist.

Diese Kritik beziehen Sie auch auf die Berliner Polizei?

Auch die Berliner Polizei muß Geduld und Gelassenheit trainieren, denke ich.

Die Berliner hätten von den Bonnern durchaus etwas lernen können, wollten es aber nicht?

Ja, das meine ich. Ich kann es nur nochmals anbieten: Was immer Berliner Kollegen von uns erfahren wollen, unsere Türen sind weit offen. Aber ich werde mich nicht aufdrängen. Da halte ich es wie unser früherer Ministerpräsident, der sagt: Ein Ratschlag ist immer auch ein Schlag. Und ich will natürlich niemanden in Berlin schlagen.

Ist die Berliner Polizei schneller dabei, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, als die Bonner?

Die Verhätnisse sind nicht zu vergleichen. Bonn hat 300.000 Einwohner. Berlin 3,5 Millionen. Aber ich gebe zu, daß auch ich ein bißchen gespottet habe, als ich nach dem ersten Besuch der Berliner gehört habe, was dahintersteckte. Wir haben hier den Personen- und Objektschutz, eine Unterabteilung der Polizei. Die rund 700 Mann, sind für den Schutz von Regierung, Diplomatie und Staatsbesuchen zuständig. Die Kollegen aus Berlin haben dazu gesagt: um Gottes willen. Dafür haben wir schon 3.500 Mann eingeplant. Da haben meine Mitarbeiter erwidert: Das ist ja spaßig. Die haben auch nicht mehr zu schützen als wir. Die haben nur größere Wege. Aber die Wege dürften für die Polizeiarbeit doch eigentlch nicht von solcher Bedeutung sein.

Die Zahlen sind inzwischen heruntergeschraubt worden.

Das scheint mir auch ganz realistisch. In der schlimmsten Terrorismuszeit haben wir für den Objekt- und Personenschutz 680 Mann benötigt. Bei besonderen Situationen, wie eine zusätzliche Großdemonstration oder wenn es es an der amerikanischen Botschaft besonders kritisch war, haben wir natürlich aus allen Ecken des Landes Kräfte hinzugeholt. Wir hatten hier schon Demonstrationen, da waren in Bonn mehr Demonstranten als Einwohner.

Daß Kräfte von auswärts geholt werden, ist in Berlin auch nicht anders. Welchen Rat würden Sie der Berliner Polizei geben, wenn sie es denn wollte?

Gucken und nicht verrückt machen lassen, mit Besonnenheit und Augenmaß vorgehen.

Da in Bonn ja auch in den Liegenschaften des Bundes der Bundesgrenzschutz mit 800 Beamten für den Objektschutz zuständig ist, stellt sich die Frage nach einer gemeinsamen Leitstelle für Polizei und BGS. In Berlin ist dies geplant. Wie ist das in Bonn?

Die Aufgabenteilung ist so klar, daß wir hier keine gemeinsame Leitstelle brauchten. In Fällen, wo der BGS bei Demos eingesetzt war, unterstand er unter Einbeziehung eines Verbindungsbeamten unserer Weisung.

Wie groß ist die Bannmeile in Bonn?

Sie ist zu groß. Da ist das Bundeskanzleramt drin, da ist das Auswärtige Amt und die schwedische Botschaft und der halbe Rhein drin. Als ich vom Bundestag zur Bannmeile in Berlin gefragt worden bin, habe ich gesagt: Es ist nicht die Aufgabe der Bonner oder Berliner Polizei zu entscheiden, ob das Parlament eine Bannmeile haben will. Aber wenn es eine haben möchte, sollte sie so klein sein wie möglich.

Warum?

Weil sie besser zu schützen ist und es dem Verfassungsauftrag besser entspricht. Das Parlament soll nicht unter dem Druck der Straße entscheiden müssen. Das Bundeskanzleramt gehört da überhaupt nicht hinein. Eine weitere Empfehlung ist: Die Bannmeile sollte nicht rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr aufrechterhalten werden, wenn das Parlament gar nicht tagt.

Was zeichnet eine haupstadtfähige Polizei aus?

Wir haben es immer so gesehen: Wir sind ein Aushängeschild in der ganzen Welt für die deutsche Polizei. Auch in schwierigen Siutationen gelassen bleiben und ein Händchen haben für die etwas problematischen Dinge mit der Diplomatie. Das heißt, den Personenschutz so zurückhaltend zu gewährleisten, daß sich die Leute bedanken, wenn er eingestellt wird. Nicht weil sie froh sind, ihn endlich los zu sein, sondern weil es so gut gelaufen ist. Und ein gepflegtes Erscheinungsbild natürlich. Aber das ist wohl das Unproblematischste.

Der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky geht aller Voraussicht nach im Herbst in Pension. Warum bewerben Sie sich nicht für den Posten?

Ach, wissen Sie, ich werde dieses Jahr auch schon 62. lacht. Zwanzig Jahre früher hätte ich gefragt: Wann geht der nächste Flieger? Aber jetzt sicherlich nicht mehr. Interview: Plutonia Plarre

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