Die Kuh als Ergänzung zur Familie

Das Pestalozzi-Fröbel-Haus in Schöneberg, eine der ersten Ausbildungsstätten für ErzieherInnen in Deutschland, feiert seinen 125. Geburtstag und fordert eine Aufwertung der Arbeit in den Kindergärten  ■ Von Sabine am Orde

Helga Metzner lacht, wenn sie von früher erzählt, aber neidisch ist sie auch. „Vor 125 Jahren waren wir ganz vorn mit unserer Ausbildung“, sagt die Soziologiedozentin vom Pestalozzi-Fröbel-Haus (PFH). „Und heute schneiden wir schlecht ab im europäischen Vergleich.“ Denn während andere Länder ihre ErzieherInnen an Fachhochschulen und Universitäten ausbilden, benügt sich die Bundesrepublik noch immer mit einer schulischen Ausbildung, die in Berlin zwei Jahre dauert.

Als man damit am PFH begann, war das jedoch eine große Errungenschaft. Das wird derzeit in dem großen, alten Backsteinbau an der Schöneberger Karl-Schrader- Straße in einem doppelten Jubiläum gefeiert: Seit 125 Jahren werden im PFH ErzieherInnen ausgebildet. Zudem jährt sich der Todestag der Gründerin Henriette Schrader-Breymann (1827–1899), die als eine der Begründerinnen der professionellen Erzieherinnenausbildung gilt, zum hundersten Mal.

Zu diesem Anlaß hat das PFH zu einer Fachtagung über „Erziehung im interkulturellen Handlungsfeld“ geladen. Denn genau hier liegt eines der Defizite, das Metzner und ihre KollegInnen in der heutigen Ausbildung sehen. „Die interkulturelle Erziehung wird trotz vieler Initiativen nur minimal abgedeckt. Dabei bestimmt in den Innenstadtbezirken wie Schöneberg der hohe Anteil nichtdeutscher Kinder den Alltag in den Kitas – und damit die Arbeit der ErzieherInnen. Ein Grund, warum sich das PFH wieder stärker an dem Konzept seiner Gründerin orientiert, das Ausbildung und Praxis eng miteinander verband.

Doch sind die Bedingungen heute natürlich ganz andere. Als Henriette Schrader-Breymann, eine Pastorentochter aus bürgerlichem Haus, die in der bürgerlichen Frauenbewegung aktiv war, mit ihrer Arbeit als Kindergärtnerin begann, waren viele der Einrichtungen noch Bewahranstalten für Kinder aus der Arbeiterschicht. Doch auch den Frauen aus bürgerlichen Familien, bisher auf das Haus beschränkt, boten sie endlich eine Möglichkeit, auch außerhalb der Familie tätig zu sein. Klare Konzepte oder gar eine Ausbildung dafür gab es aber noch nicht. Schrader-Breymanns Grundlage war die Erziehungslehre des Pädogogen Friedrich Fröbel, der auch ihr Großonkel war.

In Berlin übernahm sie nach ihrer Heirat mit dem Juristen Karl Schrader die Leitung eines Volkskindergartens. Doch Schrader- Breymann wollte mehr: Zur finanziellen Sicherung und Verbesserung der Kindergartenarbeit gründete sie 1874 gemeinsam mit ihrem Mann den Berliner Verein für Volkserziehung. Wenige Jahre später hatte der Verein genug Geld zusammen, der Kindergarten zog um, und Schrader-Breymann konnte einen Traum in die Praxis umsetzen: Sie gründete ein Seminar für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen und damit eine der ersten fundierten Ausbildungsstätten für Erzieherinnen in Deutschland.

Die Arbeiten im Kindergarten und im Seminar wurden eng miteinander verknüpft. Gemeinsam waren sie die Grundlage für das PFH, das bald zu einer umfassenden Erziehungsinstitution anwuchs: Hort und Krippe kamen hinzu, Kinderspeisung und wöchentliches Baden wurden eingeführt.

Schrader-Breymann teilte die Kindergartengruppen von bislang 50 bis 60 Kinder auf Kleingruppen mit je 12 Kindern auf. Auch in anderen Bereichen war sie sehr fortschrittlich: So wollte sie den Volkskindergarten zu einer Erziehungsstätte für alle Kinder machen, nicht nur für die aus der Arbeiterschicht. Der Kindergarten sollte eine Ergänzung zur Familie sein.

Zudem setzte Schrader-Breymann auf die Natur, die die Großstadtkinder erfahren sollten. Deshalb konnten auch die Kuh oder die Hühner, die es auf dem Gelände des PFH auf Wunsch der Gründerin gab, das Hauptthema der Kids in einem Monat sein, der „Monatsgegenstand“, wie Schrader-Breymann ihr neu entwickeltes Konzept nannte.

Theorie und Praxis wurden eng miteinander verknüpft – das will Helga Metzner auch wieder. „Diese engen Kontakt hat brachgelegen, aber seit zwei Jahren sind wir wieder auf dem richtigen Weg“, sagt sie. Die Voraussetzungen dafür sind im PFH optimal. Denn auch heute noch gehören elf Kindertagesstätten in Schöneberg und Charlottenburg, das Nachbarschafts- und Familienzentrum Kiezoase Schöneberg sowie eine therapeutische Wohneinrichtung für Jugendliche zu der Einrichtung. Die meisten der über 300 Auszubildenden absolvieren dort ihre Praktika.

Metzner würde am liebsten die verschulte Struktur des PFH aufheben und projektorientiert und fächerübergreifend arbeiten. Eine „Minimalreform“ habe man schon durchgeführt und zusätzliche Praxistage sowie Vorlesungen in Soziologie und Psychologie eingeführt, um das Ausbildungsniveau zu heben.

Doch trotz allem Stolz auf die Gründerin des PFH hat Metzner auch Kritik an Schrader-Breymann und der bürgerlichen Frauenbewegung aus ihrer Generation. Denn die Frauen gingen vom Konzept der geistigen Mütterlichkeit aus, also der besonderen geschlechtsspezifischen Aufgabe der Frau auch außerhalb der Familie. Metzner: „Das ist natürlich ein schwieriges Konzept. Es geht letztlich davon aus, daß Erziehung Frauensache ist und frau das ganz selbstverständlich kann.“ Dies steht im krassen Gegensatz zu der weiteren Professionalisierung, die Metzner und ihre KollegInnen vom PFH anstreben. „Wir müssen wieder in die Offensive.“

Im Rahmen der Fachtagung zur interkulturellen Erziehung findet heute um 12.30 Uhr eine Podiumsdiskussion statt, zu der VertreterInnen aller Parteien geladen sind. Die Ausstellung über die Geschichte des PFH ist noch bis zum 15. September in der Karl-Schrader-Straße 7–8 in Schöneberg zu sehen.