: Asylgrund Frau
■ Frauen, die vergewaltigt wurden oder sich der Zwangsbeschneidung durch Flucht entziehen, müssen in Deutschland Aufnahme finden. Als Schlußpunkt ihrer Kampagne „Verfolgte Frauen schützen“ übergeben Frauen- und Menschenrechtsgruppen heute dem Bundestag 100.000 Unterschriften. Seit Jahren fordern sie die Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtgründe in Gesetzgebung und Praxis der Asylverfahren
Es geht um Intimität. Und um Politik. Frauendinge: Ein somalisches Mädchen kommt in die Pubertät, ihm wird die Scheide verstümmelt. Eine Frau in Afghanistan will einkaufen gehen. Das ist verboten. Als Strafe versuchen zwei Soldaten, sie zu vergewaltigen. Ein Mädchen in Kamerun will Abitur machen. Aber sie soll schnell unter die Haube: Man meldet sie bei der Beschneiderin an und sucht ihr einen Mann. Er ist 63 und hat bereits fünf Frauen. Asylantrag abgelehnt.
Es geht um Politik. Politisch Verfolgte genießen in Deutschland Asylrecht. Einige. Direkt vom Staat Verfolgte. Frauen haben doppelt Pech, denn ihre Fluchtgründe passen nicht in die gängigen Regelungen. Seit Jahren wollen Frauen- und Menschenrechtsgruppen, daß diese Gründe in den Asylverfahren berücksichtigt werden. Heute übergeben Pro Asyl und der Deutsche Frauenrat dem Bundestag 100.000 Unterschriften: „Verfolgte Frauen schützen“ heißt die Kampagne. Das UNHCR, das Flüchtlingshochkomissariat der UNO, hat den deutschen Staat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung hier nicht den internationalen Standards entspricht.
Was ist politische Verfolgung? Laut Genfer Flüchtlingskonvention ist es eine schwere Menschenrechtsverletzung, die jemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Rasse, einer Religion, einem Volk, einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung erleidet. Kann der Staat ihn davor nicht schützen, muß er fliehen und in einem anderen Land Asyl erhalten.
Für Menschenrechtsverletzungen an Frauen ist das ohnehin schon eine schwierige Definition: Es gibt Fälle, da erleiden sie Verfolgung, weil sie Frauen sind, nichts anderes. Frauen werden in Kriegen, in Gefängnissen oder bei Verhören vergewaltigt. In vielen Gegenden können sie sich der Zwangsbeschneidung nur durch Flucht entziehen. Widersetzten sie sich den Repressionen in islamisch geprägten Ländern wie dem Iran, Bangladesch oder Afghanistan, drohen Gewaltstrafen.
Um diese Verletzungen von Frauenrechten einzubeziehen, empfahl der UNHCR schon Mitte der achziger Jahre, Frauen als „soziale Gruppe“ zu definieren, damit sie von der Genfer Konvention erfaßt werden. Kanada, die USA und Neuseeland sind dem in Richtlinien und wegweisenden Urteilen bis jetzt am weitesten gefolgt. Auch einige europäische Länder haben bestimmte Menschenrechtsverletzungen an Frauen in die Kataloge der Asylgründe aufgenommen. Deutschland nicht.
In Deutschland ist das alles weniger einfach. Die deutsche Asylrechtsprechung ist ohnehin auf staatliche Verfolgung eingeengt. Für die Fluchtgründe der Frauen zeigen die Entscheider zudem wenig Verständnis. So berichtet Pro Asyl vom Fall einer Zairerin, die nach einer Demonstration von einem Offizier mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt wurde. Der Asylantrag wurde abgelehnt mit den Worten, der Offizier habe sich lediglich „privat belustigt“, politische Verfolgung liege deshalb nicht vor.
Auch die Freiheitsberaubung in islamistisch geprägten Staaten ist für die Bundesrepublik kein Asylgrund: Eine ehemalige Lehrerin in Afghanistan konnte, da sie nicht die vorgeschriebene männliche Begleitung hatte, ihr Haus nicht mehr verlassen. Das Bundesamt bemerkt dazu trocken: „Es kann nicht Aufgabe der bundesdeutschen Asylbehörden sein, die religiösen Gebräuche und Gepflogenheiten anderer Länder zu kritisieren.“ Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann bringen solche Äußerungen in Rage: „Wenn unsere staatlichen demokratischen Institutionen einen solchen Standpunkt vertreten, dann heißt das: ,Duckt euch!' Das ist eine Verletzung des Prinzips, daß Verfolgte aus autoritären und antidemokratischen Systemen hier Schutz finden.“
Einige Dinge haben sich durch den Druck von Frauenorganisationen geändert. Inzwischen stehen immerhin Anhörerinnen und Dolmetscherinnen zur Verfügung. Die Entscheider wurden psychologisch geschult. Dennoch steht die Rechtsgrundlage mit der engen Definition von politischer und staatlicher Verfolgung im Widerspruch zur Genfer Konvention. In Deutschland fehlen Richtlinien, die verfolgte Frauen als Angehörige einer „sozialen Gruppe“ gemäß der Genfer Konvention definierten. Deutschland hat alle in diese Richtung gehenden Beschlüsse des Exekutivkomitees des UNHCR unterzeichnet, an der Praxis aber nichts geändert.
Dennoch haben sich einige Verwaltungsgerichte in den letzten Jahren vermehrt auf die internationalen Standards berufen: 1996 räumte das Magdeburger Verwaltungsgericht einer Somalierin, die vor einer Zwangsbeschneidung geflohen war, Asylrecht ein – mit der für die deutsche Rechtsprechung revolutionären Begründung, daß mittelbare Verfolgung bestehe, wenn der Staat seine Machtmittel nicht zum Schutz seiner Bürger einsetze: der Standard der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die rot-grüne Regierung will die Verwaltungsverordnungen der entsprechenden Gesetze überarbeiten. Doch muß der Bundesrat solchen Änderungen zustimmen. Und der ist in diesem Jahr ein eher unsicherer Kantonist. Heide Oestreich
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