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Volles Programm an Selbsthistorisierung

15 Jahre Tommy Boy: Das Ghetto ist mehr als Gang-Gewalt. Das Label mit dem tanzenden Männchen suchte beharrlich nach dem besonderen Einzelact. Eine CD-Box dokumentiert die Jahre 1981–1996 und läßt ahnen, wie schwierig es ist, immer am Ball zu bleiben  ■ Von Heike Blümner

Am Anfang war die Idee, und die Idee war gut. Wie sich allerdings erst im nachhinein herausstellte. Denn als Thomas Silverman 1979 beschloß, ein Label für HipHop-Acts zu gründen, erschien das aus unternehmerischer Perspektive absurd. Ein Unternehmensberater sagte ihm, daß er Glück haben werde, wenn sich ein Drogendealer aus Harlem für seine Idee interessiere, denn niemand mit einem klaren Kopf würde auch nur einen Cent in dieses Geschäft investieren.

1979 war das Jahr, in dem die Sugarhill Gang mit der ersten erfolgreichen HipHop-Single „Rappers Delight“ verkündete, daß aus den New Yorker Ghettos noch etwas Aufregenderes zu erwarten ist als die Klischees von Gang-Gewalt. „Rappers Delight“ bewies auch, daß man als kleine, unabhängige Plattenfirma wie das Sugarhill-Label mit dem richtigen Gespür für den Sound von der Straße Geld verdienen kann. Zu dieser Zeit startet Thomas Silverman sein Label Tommy Boy, das wie viele Firmenlegenden anfängt, nämlich irgendwo am Rande des Ruins, irgendwo in einer schmuddeligen Souterrain-Wohnung, irgendwo im damals noch schmuddeligeren Manhattan. Die jetzt veröffentlichte Fünf-CD-Box „Tommy Boy Greatest Beats“ dokumentiert 15 Jahre (1981–1996) Am-Ball-Bleiben in einem Genre, dessen zahlreiche künstlerische Umbrüche auch immer unternehmerische Rutschpartien mit sich brachten, nach oben wie nach unten.

Doch die ersten Tommy-Boy- Produktionen werden nicht so recht erhört. Erst mit der Veröffentlichung von Afrika Bambaatas „Planet Rock“ im Jahr 1981 kommt der Durchbruch, das neue Büro und mehr Spielraum für Neuentdeckungen. Mit „Planet Rock“, das auf einem Kraftwerk-Sample basiert, verändert sich der Old- School-Sound weg von einer Post- Disco-Attitüde hin zu einem reduzierten, trockenen Electric-Boogie. Und der ist zunächst mal eine sichere Bank: Mit Tracks von The Jonzun Crew, Pressure Drop und MC G.L.O.B.E + Whiz Kid schiebt Tommy Boy direkt noch ein paar Genre-Knüller hinterher. Es sind wohl nur diese ersten Jahre, in denen man von einem stringenten Tommy-Boy-Sound sprechen kann. Doch auch fast zwanzig Jahre später und mitten im Electro-Revival, wo kein Videoclip, der etwas auf sich hält, ohne Breakdancer auskommt, hören sich diese Electric-Boogie-Tracks noch frisch an.

1985 bringt Tommy Boy den „Payoff Mix“ von Double Dee & Steinski heraus, der bis heute als Ursprung aller Scratch'n'Sample- Platten gilt. Der Streit um die Musikrechte an der Platte führt dazu, daß sie nur limitiert und als Promo- Exemplar auf den Markt kam. Damit steht sie an der Nerd- und Spezialwissen-Börse zwar hoch im Kurs. Geld verdienen kann man damit aber nicht. Auch ein Grund für Tommy Boy, sich zu angrenzenden musikalischen Bereichen wie zum Beispiel R'n'B, Latin und Dance zu öffnen, zumal das Electric-Boogie langsam Patina ansetzte. Tommy Boy versuchte sich auch an der amerikanischen Variante von mainstreamorientierten New Wave mit der Band Information Society, was sich im nachhinein kurios anhört, aber in Brasilien toperfolgreich war.

Damit war es erst einmal aus mit dem originären, vom eigenen Label entdeckten Sound. Für unabhängige Labels ist das eine besonders kniffelige Situation, wenn das eigene Profil sich abnutzt und andere das Ohr näher an der Straße haben. In den späten achtziger Jahren war es Def Jam, das mit dem harten Sound von Run DMC, L.L. Cool J. oder Public Enemy die Richtung vorgab. Es scheint, als sei es für Silverman schwierig gewesen, diese musikalische Richtung auf die Tommy-Boy-Acts zu übersetzen. Lediglich mit dem Rapper Paris legte man recht überzeugenden Agit-HipHop hin. Noch problematischer wird die Lage, als Gangster-, Gewalt- und Drogen- Erfahrungen auf einmal der heißeste Text zum Beat sind. Bei Tommy Boy antwortet man mit Künstlern wie Apache, die ein stumpfes „Gangsta Bitch“ runterrappen. Es klingt halbherzig und ist gleichzeitig logisch: Tommy Boy ist eben kein Label von und für die Homies, Thomas Silverman kein Ghetto-Kid, und Geschäftsführerin Monica Lynch hat ihre Wurzeln im Punk. Beide sind im übrigen weiß. Gerne möchte man erfahren, ob es je Mißtrauen zwischen schwarzen Künstlern und weißen Unternehmern gab. Gerade innerhalb einer Szene, die immer wieder von allen Seiten des weißen Establishments angegriffen wurde – sei es liberal, konservativ oder rassistisch. Einer Szene, die bis heute großen Wert darauf legt, es irgendwie real zu keepen, und Profite der eigenen Community zugute kommen lassen will.

Erst als HipHop wieder jazziger und verspielter wird, ist Tommy Boy wieder obenauf und veröffentlicht das eingängige „Talkin' All That Jazz“ von Stetsasonic. Monica Lynch entdeckt derweil De La Soul, die auf Tommy Boy ihre sämtlichen Hits veröffentlichen. In den neunziger Jahren kommen Queen Latifah, Naughty By Nature und dann Coolio dazu, der mit „Gangstas Paradise“ den Damm für die permanente Etablierung von HipHop-Tracks in den Charts bricht.

Fünfzehn Jahre Tommy Boy: Das Markenzeichen des Labels ist weniger ein stringenter Sound, sondern die stoische Suche nach dem außergewöhnlichen Einzelact durch alle musikalischen Strömungen hindurch. Und es ist das Logo des Labels mit den tanzenden Männchen, das einem genauso vertraut ist wie die Turnschuhe von Run DMC. Fünf CDs Tommy Boy plus hübschem Begleit-Booklet von David Toop, dem Autor des Standardwerkes „Rap Attack“, ist natürlich auch das volle Programm an Selbsthistorisierung. Aber angesichts der Namen, Stücke und Ereignisse, die da aufgefahren werden, darf die Butter schon auch etwas dicker aufgetragen werden.

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