: Was, Rechte in Guben?
Nach der tödlichen Hetzjagd durch rechtsextreme Jugendliche versucht sich die Stadt in hilfloser Ursachenforschung ■ Aus Guben Jutta Wagemann
Die Mienen der Gubener Stadtverordneten werden immer finsterer. Verwirrt blicken sie auf die Zahlenkolonnen, die der parteilose stellvertretende Bürgermeister auf die Wand projiziert. Folie um Folie präsentiert Fred Mahro: wie viele Jugendliche es in Guben gibt, wie viele Clubs, wie viele Kontakte sie zu den Kids haben, wie viele ABM-Stellen es gibt, wie viele Angebote. Mahro rasselt die Statistiken herunter. Was tut die Stadt Guben für ihre Jugend? Um diese Frage zu beantworten, hatte die PDS eine Sondersitzung der Gubener Stadtverordnetenversammlung anberaumt. Und jetzt das.
So war es immer in Guben. Die Stadtverwaltung beantwortet routinemäßig die Anfragen der Stadtverordneten. Probleme tauchen in den Berichten nicht auf.
Mit der Routine ist es in der Kleinstadt an der polnischen Grenze seit vier Wochen vorbei. In der Nacht zum 14. Februar hetzt eine Gruppe rechtsradikaler Jugendlicher zwei Asylbewerber durch die Stadt. Der 28jährige Algerier Omar Ben Noui kommt dabei zu Tode.
„Immer dachten wir, daß wir gute Jugendarbeit machen und es keine Probleme gibt“, sagt Christine Knapik. Und plötzlich mußten sie feststellen, bemerkt die Vizechefin der PDS-Fraktion, daß es in Guben „stadtbekannte Rechtsradikale“ gibt. Die Stadtverordnete ist konsterniert. Wie konnte es passieren, daß jahrelang alle die Probleme verschwiegen haben? „Vielleicht haben wir die Berichte über die Jugendarbeit viel zuwenig hinterfragt“, sagt Knapik.
Die Orte der Jugendlichen haben die Politiker nicht aufgesucht. Im Jugendclub „No Budget“ verkehren regelmäßig Jugendliche aus der rechten Szene. Das gehört zum Prinzip des „Vereins für alternative Jugendarbeit“, dem privaten Träger des Clubs. Politisch neutrale und für alle offene Angebote macht der Club. Die Sozialarbeiter knüpfen deshalb Kontakte zu den Rechtsextremen, um sie aus ihrer Szene herauszuziehen.
„Die kamen doch bloß zur Quasselstunde“, sagt Mark (Namen der Jugendlichen geändert). Nur um einmal in der Woche mit den Betreuern Probleme zu bereden, tauchten die Rechten auf. Am übrigen Angebot des „No Budget“ seien sie nicht interessiert. Den Mittzwanziger nervt es, daß „Faschos“ in seinem Club verkehren. Nur die Vereinsleitung wolle die Kontakte zu den Rechten, sagt die 16 Jahre alte Tina.
Die Jugendlichen sind auf den Vorstand zur Zeit nicht gut zu sprechen. Nur eine Woche nach dem Tod des Aslybewerbers kündigte der Verein seiner Mitarbeiterin Michaela Höllein, weil sie an einer Antifa-Demonstration gegen Rechtsextremismus teilgenommen und angeblich Journalisten die Adressen von Rechtsextremen gegeben hatte. Letzteres bestreiten sie und die Journalisten. Inzwischen hat sich der Verein von den politischen Gründen, die im offiziellen Kündigungsschreiben ausdrücklich genannt sind, distanziert. Jetzt schiebt der Verein „gravierende Disziplinarverstöße“ vor, die schon im Januar zu einer Abmahnung geführt hätten. „Wir finden die Kündigung total bescheuert“, sagt Tina. Michaela Höllein war eine der wenigen jüngeren Betreuerinnen und sehr beliebt.
Jugendarbeit mit Linken oder Rechten – darüber hatten sich die Gubener Stadtverordneten bisher keine Gedanken gemacht. Man wußte wohl, daß es beide Gruppen in der Stadt gibt. 1995 drohten die Reibereien zwischen den Jugendlichen zu eskalieren. Die Stadt richtete einen Runden Tisch ein, um die Betreuung der Jugend neu zu organisieren. „Die Jugendlichen saßen dabei immer nur in der zweiten Reihe“, ärgert sich Christine Knapik noch nachträglich. Sie seien gar nicht richtig beteiligt worden. Greifbare Ergebnisse habe der Runde Tisch nicht hervorgebracht.
Dennoch waren die Gubener Politiker zufrieden, weil so viel für die Jugendlichen gemacht wurde. Doch an diesem Mittwoch nachmittag müssen sie sich sagen lassen, daß nicht jede Art von Jugendarbeit sinnvoll ist. Auf Antrag der PDS kommen bei der Stadtverordnetenversammlung Experten zu Wort. „Die fachliche Ausbildung ihrer Jugendbetreuer ist nicht so, wie sie sein sollte“, sagt der Jugenddezernent des Landkreises, Hermann Kostrewa. Die Ausländerbeauftragte Anetta Kahane stellt die „offene, akzeptierende“ Jugendarbeit in Frage: „Wenn die Jugendlichen rechtsgerichtet sind, kriegt diese Jugendarbeit Probleme.“ Gleichzeitig warnt Kostrewa davor, die Jugendarbeit zu überfordern: „Sie dürfen nicht die gesamtgesellschaftlichen Ursachen aus dem Blick verlieren.“
Für diesen Blick ist die Mehrheit der Stadtverordneten jedoch an diesem Nachmittag nicht zu haben. Die Kündigung der Sozialarbeiterin ist kein Thema. Auch an einen PDS-Antrag wagen sich SPD, CDU, FDP und das Bündnis für Guben nicht heran. Dem Taxifahrer, der den anderen Asylbewerber in der furchtbaren Nacht aufgegriffen und damit gerettet hatte, soll ein Eintrag ins Goldene Buch der Stadt angeboten werden. Den Antrag überweist die Mehrheit lieber in den Hauptausschuß. Routinemäßig.
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