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■ QuerspalteFrühlingspoesie, halbfett

Angenommen, in Zeiten wie diesen, die wahrscheinlich nicht anders sind als die anderen, ist es kein Verbrechen, auf den Frühlingsanfang zu sprechen zu kommen. Die just in time-Suche nach dem Ursprung des wahren deutschen Frühlingsgedichts führt freilich erstmal ins Leere. In der Eichendorff- Werkausgabe? Nein. Tja, wenn man nicht so viele ungelesene Bücher im Regal stehen hätte, würde einem die kränkelnde Eindrittelbildung auch nicht viel nützen. Glücklicher- wie logischerweise steht es im Großen Deutschen Gedichtbuch: „Frühling läßt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte...“ usw. Es ist von Mörike! Damit die Nachgeborenen trotzdem nicht ganz dumm dastehen müssen, hat der andere, nämlich Eichendorff immerhin sechs Gedichte geschrieben, die den Frühling mindestens im Titel tragen. „Mir ists im Kopf so wüste, / Die Zeit wird mir so lang...“ usw. Noch mehr als hundert Jahre später knospet und blühet es rechtzeitig allüberall. Pünktlich kündigt Boris die Geburt des zweiten Becker-Kindes an. Im Einklang mit der Natur sozusagen. Zu lesen ist das im Videotext ausgerechnet auf den Sportseiten. Clinton will seine Ehe retten, und „die Sollbruchstelle heißt Jürgen Trittin“.

Aber wenigstens ums deutschsprachige Reimen müssen wir uns keine Sorgen machen. Sechshundertundvier DichterInnen bewarben sich jüngst um den Leonce-und-Lena-Preis, „die bedeutendste Auszeichnung für deutschsprachige Nach-wuchslyrik“. Nicht älter als 36 darf sein, wer um die 15.000 Mark mitdichten will. Ist es also ein Wunder, daß Büchner mit 23 starb und vom Gedichteschreiben nicht viel gehalten oder seine Versuche vernichtet zu haben scheint? Gewonnen hat diesmal der Schweizer Raphael Urweider, dem es gelang, „mit artistischer Leichtigkeit den Ursprung wissenschaftlicher Erkenntnis im Spiel aufzuzeigen“. Bleibt nur noch die Frage nach dem blauen Band. Ist es der Himmel oder die nordische Kälte? Oder doch die Halbfettmargarine im Kühlregal vom Supermarkt? Dietrich zur Nedden

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