piwik no script img

Angriff auf die ostdeutsche Volksseele

Der Kriminologe Christian Pfeiffer stellt sich mit seiner umstrittenen Töpfchenthese dem Ostpublikum  ■ Aus Dresden Nick Reimer

Selten war das Audimax so gut besucht. Am späten Dienstag stellte der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer sich und seine umstrittene These dem Publikum an der TU Dresden. Die Erziehungskonzepte von DDR- Krippe und -Kindergarten seien, so Pfeiffer, Hauptursache für die Fremdenfeindlichkeit im Osten. Wegen dieser Erziehung zur systemkonformen Angepaßtheit – „und anderen Einflüssen“, fügte Pfeiffer hier an – sei die Gefahr, als Ausländer in Ostdeutschland überfallen zu werden, bis zu dreißigmal höher als im Westen.

Starker Tobak für die ostdeutsche Volksseele. Denn hier wird eine der letzten Bastionen des kollektiven ostdeutschen Selbstverständnisses angegriffen: So schlecht war unser Bildungssystem, die Anerziehung von Grundtugenden wie Ordnung, Disziplin und Fleiß, doch gar nicht. Viele Redebeiträge aus dem Publikum begannen denn auch mit: „Ich habe drei Kinder, die trotz Krippe und Kindergarten wohlgeraten sind.“

Pfeiffer wurde vorgeworfen, die Ursachen rechtsradikaler Gewalt nur in der Vergangenheit zu suchen, nicht aber in den Problemen der Gegenwart, die doch erst die westdeutsche Gesellschaft über die DDR gebracht habe. Familie, soziales Umfeld, Arbeitslosigkeit: Es sei doch heute unzweifelhaft, daß viele Faktoren zur Erklärung des Rechtsradikalismus einbezogen werden müßten.

Pfeiffer kam dem Auditorium entgegen: „Ich prangere doch nicht die Eltern an.“ Das System der DDR hätte sie zu Opfern gemacht. Auch die Erzieherinnen träfe keine Schuld, sie konnten gar nicht anders, als die Normen des Systems zu vermitteln. Das war dem Publikum zu platt; man könne doch nicht alles auf das System schieben.

Unter den 1.000 Zuhörern waren auch etliche Wissenschaftler, die weniger aus dem Bauch heraus, als vielmehr mit Studien oder eigenen Forschungsergebnissen Pfeiffers Thesen hinterfragten. Eine Untersuchung von 1990 wurde zitiert, bei der 800 Ost- und Westberliner Kinder und Jugendliche befragt worden waren. Ergebnis: Ein signifikanter Unterschied in bezug auf autoritäres Verhalten oder rechtsradikale Einstellungen war nicht festzustellen.

Auf dem Podium zitierte der frühere Leiter des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung, Professor Walter Friedrich, den Verfassungsschutzbericht von 1994, nach dem 14 Prozent aller Straftaten mit einem rechten oder fremdenfeindlichen Hintergrund im Osten begangen wurden. „Hier lebten aber 17 Prozent der bundesdeutschen Bürger. Die Tatquote ist also unterdurchschnittlich“, argumentierte Friedrich.

Streitpunkt Statistik: Pfeiffer hält diese Zahlen für nicht relevant: „Es geht doch nicht um das pubertäre Schmieren von Hakenkreuzen, die in diese Statistik eingeflossen sind.“ Ihm gehe es um Gewaltakte gegen Ausländer, „und die kommen im Osten fünf- bis sechsmal häufiger vor als im Westen“. Wie kommt es dann, wollte ein Zuhörer wissen, daß in Mecklenburg fast viermal mehr solcher Straftaten registriert werden als in Sachsen? Man dürfe den Bilanzkreis nicht zu eng zeichnen, erwiderte Pfeiffer.

Warum, fragte gegen Ende der Veranstaltung ein Zuhörer, machen Sie das? Warum nehmen Sie diesen geballten Zorn auf sich? Als die ostdeutsche Wissenschaftlerin Anetta Kahane kürzlich dieselbe These aufstellte, antwortete Pfeiffer, habe das niemand im Osten registriert. „Offenbar bedarf es erst eines Westdeutschen, um eine solche Debatte loszutreten.“

Daß dem Abend dann doch noch ein fruchtbarer Ausgang beschieden war, ist Karl Zwiener zu verdanken. Der ostdeutsche Forscher war in der DDR beim Institut für Hygiene des Kindes- und Jugendalters tätig. Zwiener hat 10.000 Psychogramme von DDR- Kleinkindern in die Bundesrepublik hinübergerettet und will sie nun der Forschung zur Verfügung stellen. „Ich schlage vor, diese Menschen heute noch einmal zu befragen“, so Zwiener. Anhand dieses authentischen Materials könne man dann sehr genau sehen, was Pfeiffers These wert ist. Da gab es viel Beifall. Von Pfeiffer. Von Friedrich. Vom Publikum.

Kommentar Seite 12 – Mehr zum Thema am Wochenende im taz.mag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen