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Der ewige Verlierer – nun auf der Siegerstraße

■ Rudolf Scharping hat das Verteidigungsministerium nur widerwillig übernommen. Nun zeigt sich, was der nüchterne Parteisoldat wert ist

Übernommen hat er das Amt nur widerwillig. Rudolf Scharping wollte nach dem Wahlsieg der rot- grünen Koalition unbedingt Fraktionschef der SPD bleiben. Ausgerechnet Oskar Lafontaine hat das verhindert: der Mann, der ihn schon 1995 überraschend vom Thron des Parteivorsitzenden gestoßen und Scharping damit die schwerste Niederlage seines Lebens bereitet hatte. Nun drängte der ihn also auch noch ins ungeliebte Verteidigungsministerium ab.

Bitter. Demütigend. Scharping, der ewige Verlierer.

Nicht einmal ein halbes Jahr ist das her. Heute ist Lafontaine saarländischer Privatmann und Scharping wieder einmal ein Hoffnungsträger seiner Partei, die davon inzwischen nicht mehr viele hat.

Erleichterung, daß kein Rauhbein Armeechef ist

Deutschland beteiligt sich ohne eindeutige völkerrechtliche Grundlage an militärischen Angriffen gegen ein souveränes Land. Wer das jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik für möglich gehalten hätte, wäre als Spinner bezeichnet worden. Es ist seltsam: Selbst manche erklärten Gegner der Nato-Operation versagen dem Verteidigungsminister ihre Achtung nicht. Im Gegenteil – eher ist bei ihnen Erleichterung darüber zu verspüren, daß in diesen Tagen kein martialisches Rauhbein auf der Hardthöhe sitzt, sondern dieser spröde, nüchterne Mann.

Er hat seine Amtsführung begonnen, als verstehe er sich als Betriebsratsvorsitzender der Bundeswehr. Mit einem großzügigen Zeitrahmen für die Arbeit der geplanten Wehrstrukturkommission zögert er grundlegende Veränderungen bei den Streitkräften hinaus. Um den Etat kämpft er verbissen. Einen großen Teil seiner Zeit widmet er Gesprächen mit Soldaten aller Dienstränge. Bei der Bundeswehr kommt das gut an.

Aber Scharping läßt auch keinen Zeifel daran, wo er die Grenzen des Militärs sieht. Soldaten dürften nicht „von einem Hilfsmittel der Politik zu einem Ersatz für fehlende Politik“ werden. Das hört sich nicht wie ein Lippenbekenntnis an. Wohl auch deshalb, weil Scharping sich im Unterschied zu anderen politisch nicht verbiegen muß, wenn er die Luftschläge gegen Jugoslawien als letzte verbliebene Möglichkeit bezeichnet.

Scharping war 1994 einer der ersten, der in der SPD für ein Engagement der Bundeswehr in Bosnien eintrat, damals noch gegen erbitterten innerparteilichen Widerstand. Im letzten Jahr gehörte er dann zu den ersten, die ein Mandat der UNO für ein Eingreifen im Kosovo für verzichtbar erklärten.

Rudolf Scharping hat seit Wochen eine gute Presse. Aber er ist früher wohl zu oft gebeutelt worden. Sein Mißtrauen bleibt wach. Wie er sich als erster sozialdemokratischer Verteidigungsminister Deutschlands fühle, der den Einsatz von Waffen befehle, will ein Journalist wissen. Scharping, sonst stets um souveräne Selbstbeherrschung bemüht, entgleisen die Gesichtszüge. Lange Pause. Dann, in scharfem, nur mühsam kontrollierten Ton: „Es ist eigenartig, welche Überlegungen und Vergleiche in diesen Tagen aufkommen.“ Jetzt ist der Frager verwirrt: „An Noske hab' ich nicht gedacht.“

Aber möglicherweise würde ja in diesen Tagen jeder SPD-Verteidigungsminister Reminiszenzen an den rechten Sozialdemokraten fürchten, der sich in der Weimarer Republik mit der Generalität gegen die Linke verbündet hatte.

Auch Linke zollen Scharping nun Respekt

Dabei zollen ihm auch Linke Respekt. Rudolf Scharping lege „eine Form der Distanz zu seinem Amt und einen Grad der Zivilität“ an den Tag, die ihn von manchen seiner Vorgänger unterscheide. Das bescheinigt dem Minister der PDS- Faktionsvorsitzende Gregor Gysi, der so engagiert wie heute nur noch wenige Abgeordnete gegen die Nato-Operation streitet. Ob das Lob aus diesem Mund den 51jährigen allerdings freut, ist fraglich – mit dessen Partei mag Scharping nichts zu schaffen haben. „Seine Gegnerschaft zur PDS ist echt“, sagt Gysi dazu, der bei anderen SPD-Politikern ein eher taktisches Verhältnis zu dieser Frage zu erkennen meint. Bei Scharping nicht. Dem glaubt er die öffentlich vorgetragene Überzeugung.

Redlich, glaubwürdig, berechenbar: Das sind Begriffe, mit denen Rudolf Scharping seit Jahren immer wieder charakterisiert wird. Von intellektueller Brillanz, sprühendem Witz oder medienwirksamem Charme war hingegen nie die Rede. Das hat ihn oft gekränkt. Welcher seiner Vorzüge verkannt werde, wurde er 1995 gefragt. Die Antwort: „Mein Humor.“ Es gibt keinen Anlaß, das für Selbstironie zu halten. In diesem schwarzen Jahr für Rudolf Scharping, in dem ihm Kritiker vorwarfen, die SPD in die schwerste Krise seit der Nachkriegszeit geführt zu haben, ließ sich alles gegen ihn verwenden.

„Der schlimmste Exzeß, an dem er je teilgenommen hat, war eine Skatrunde, deren Verlierer eine Flasche Asbach Uralt ausgeben mußte“, schrieb damalas Henryk M. Broder im Spiegel. „Jede Mutter würde ihm ihre minderjährige Tochter anvertrauen, jeder Familienvater den vollgeladenen Kombi bedenklos zum Auftanken übergeben. Und selbst, wenn das alles nicht stimmen würde, wenn er schon mal eine Parkuhr nicht gefüttert und in einem Nichtraucherabteil geraucht hätte, er müßte immer noch als ein Vorbild für Geradlinigkeit, Aufrichtigkeit und Pflichterfüllung herhalten.“

Mit so verächtlichem Spott würden diese Tugenden derzeit nicht bedacht. Wenn Scharping Glück hat, dann liegt das nicht nur daran, daß Deutschland sich gerade an einem Krieg beteiligt. Es gibt Hinweise darauf, daß auch unabhängig davon Teile der Öffentlichkeit politischer Showeffekte überdrüssig werden. Scharping könnte das nützlich sein.

Bisher ist die politische Biographie ausgerechnet dieses oft langweilig wirkenden Mannes verlaufen wie eine Achterbahn. Und künftig? Er könne sich ganz seinem Amt widmen, weil er „keine weitergehenden Ambitionen mehr“ habe, war kürzlich über ihn in einer Tageszeitung zu lesen. Nein? Bettina Gaus, Bonn

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