: Ströbele – plötzlich im Licht der Öffentlichkeit
■ Mit sechs Fraktionskollegen fordert der Alt-Grüne die sofortige Beendigung der Luftangriffe
Christian Ströbele ist munter wie seit langem nicht mehr. Plötzlich ist der 59jährige, der mit seinen ausgebeulten Jeans und seiner Strickjacke schon äußerlich wie der letzte Vertreter der friedensbewegten Grünen der Achtziger wirkt, zur Kristallisationsfigur jener Minderheit in der Fraktion geworden, die den Nato-Einsatz grundsätzlich ablehnt. Am Donnerstag morgen war Ströbele im Bundestag erregt ans Podium geeilt und hatte mit emotionalen Worten sich von der Mehrheit seiner Fraktion, die den Angriff der Nato unterstützt, abgesetzt.
Gestern nun durfte Ströbele in der ordentlichen Kosovo-Debatte des Parlaments seine Ablehnung noch einmal begründen. Die grüne Fraktion hatte sich darauf verständigt, um die interne Debatte nicht noch weiter anzuheizen. „Der Druck war dadurch raus“, sagt die Wehrexpertin Angelika Beer, eine jener Linken in der Fraktion, die im Gegensatz zu Ströbele den Nato-Einsatz befürwortet. Ströbele und sechs weitere grüne Abgeordnete präsentierten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die sofortige Beendigung der Luftangriffe verlangen. „Ohne Mandatierung durch die UNO, die, wie jetzt UN-Generalsekretär Kofi Annan noch einmal feststellte, nicht vorliegt, verstoßen diese Angriffe gegen das Völkerrecht“, heißt es dort.
Das Leid der albanischen Zivilbevölkerung im Kosovo nehme doch während der Angriffe zu, sagte Annelie Buntenbach, eine der Unterzeichnerin. Sie bedrückt, daß niemand in der Fraktion und in der Regierung eine Antwort darauf hat, was passieren soll, wenn Milošević das Abkommen von Rambouillet nicht unterzeichnet. Darauf hätten auch Rudolf Scharping und Joschka Fischer am Dienstag vor der Grünen-Fraktion keine Antwort gegeben.
Die Spannung in der 47köpfigen Fraktion zwischen der Mehrheit der Luftschlagbefürworter und der kleinen Gruppe der Gegner ist offenkundig, auch wenn alle Beteiligten, Ströbele auch, sie herunterzureden versuchen.
Besonders erzürnt haben manche auf Ströbeles Satz am Donnerstag morgen im Bundestag reagiert, er schäme sich für sein Land, das nach 54 Jahren wieder Bomben auf Belgrad werfe. Matthias Berninger, 28 Jahre und vom Realo-Flügel, hält mit seinem Ärger auch am Tag danach nicht zurück: „Wenn er, Ströbele, sich schämt, zwingt ihn niemand, in der Fraktion zu bleiben.“ Berninger und Ströbele haben ihre Positionen nicht persönlich ausgetauscht. Noch nicht. Die Worte des anderen erfahren sie jeweils von Journalisten. Und so kleidet Ströbele gegenüber dem taz-Reporter seine Antwort in eine Hypothese. Wenn er Berninger sprechen würde, dann würde er ihm entgegnen: „Ich habe als einer der Mitgründer das Licht in dieser Partei angezündet. Ich werde bestimmt der letzte sein, der die Fraktion und die Partei verlassen wird.“
Von Parteiübertritten zur PDS will niemand hören, der der Minderheit in der Fraktion angehört. An der Basis aber rumort es, wie Ströbele erzählt. Sein Büro habe am Donnerstag seine liebe Mühe und Not gehabt, einen Kreisvorstand in Hessen vom Austritt abzuhalten. Ströbele hält solch schnelles Aufgeben für falsch. Mit fast protestantischem Pathos sagt er, jetzt erst recht gelte es, „nicht alles hinzuschmeißen, sondern zu signalisieren: Da ist eine Grenze, die manche Grüne nicht mitmachen“. Zum Abschluß erzählt er von seiner Zimmernachbarin im Bonner Hotel. Die habe ihm beim Frühstück gesagt: Wenigstens einer, der noch dagegenhält. Severin Weiland, Bonn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen