: PDS trägt den Pazifismus wie ein Banner vor sich her
■ Die Partei traut sich jedoch nicht, ungehemmt über gestiegene Wahlchancen zu spekulieren
Berlin (taz) – Es ist wie im Wahlkampf. Als letzter Redner, als Höhepunkt, kommt der PDS- Star auf die Bühne. „Gysi, Gysi“, schallt es durch die Reihen. Aber Gysi reagiert nicht. Keine lauten Appelle ruft er ins Mikrofon, keine Parolen. Eine Hand aufs Rednerpult gestützt, sieht der Fraktionschef der PDS im Bundestag auf der Bühne noch kleiner aus als sonst. Gysi, in der Regel der Alleinunterhalter der Partei, gibt sich nachdenklich. Er weiß, was die Situation erfordert. „Wir sind eine so verschwindende Minderheit gegen eine so gewaltige Mehrheit, daß ich mich frage: Kann die Minderheit recht haben?“
Sie kann. Das liest Gysi aus den Mienen der Zuschauer ab, die ihn an diesem Samstag morgen wie einen Heilsbringer anstarren. „1914 hat nur ein einziger gegen den Krieg gestimmt. Und wir wissen, er hatte recht.“ Den Namen Karl Liebknecht muß er nicht nennen. Die Menge jubelt auch so. Die Partei und ihre Anhänger sind hier schließlich unter sich.
Es ist kein Wahlkampf. Es ist Krieg. Und auf dem Berliner Alexanderplatz drängeln sich Tausende von Menschen, die „Peace“-Fahnen hochhalten oder Abzeichen mit der Aufschrift „Frieden jetzt“ tragen. Nicht nur ältere Menschen, die zu jeder PDS-Kundgebung kommen, stehen vor der kleinen Bühne. Eine 40jährige mit Leinenhemd und Hanfweste scheint geradewegs der Friedensbewegung der achtziger Jahre entsprungen zu sein. Der Grauhaarige mit dem Zopf war zuletzt vielleicht Delegierter auf einem Grünen-Parteitag. Hier versammeln sich die letzten Pazifisten Deutschlands. Sie wollen alle nur eines: den Krieg im Kosovo beendet sehen. Das eint die PDS und ihre Anhänger mit Hunderten von fahnenschwenkenden Jugoslawen. Sie halten Fotos von Milośevič hoch und skandieren immer wieder „Yugoslavia, Yugoslavia“.
Den Krieg lehnt die PDS ab, in die Rolle eines Unterstützers des Belgrader Diktators will sie sich aber nicht drängen lassen. Gysi kritisiert Schröder und Clinton, aber er betont auch, daß Milośevič „kein Guter“ ist. „Ich verkenne die Probleme im Kosovo nicht“, ruft Gysi. Er verurteilt jedoch den Krieg als ein Mittel der Politik: „Mit vorgehaltener Pistole erzwingt man nicht die Unterschrift unter einen Friedensvertrag.“
Die Bonner Parteienpolitik läßt Gysi bewußt außen vor. Er will sich nicht vorhalten lassen, angesichts von Massakern im Kosovo über steigende Wahlchancen seiner Partei in Deutschland zu spekulieren. Doch der gerissene Gysi weiß nur zu genau, daß genau darin die Chance besteht: Angesichts des Krieges im Kosovo kann die PDS als Friedenspartei, als einzig wahre linke Partei Stimmen machen – auf Kosten der Grünen und der Sozialdemokraten. Nur eine Handvoll Bundestagsabgeordneter der Grünen und der SPD lehnt den Krieg im Kosovo ab, die PDS dagegen trägt den Pazifismus wie ein Banner vor sich her. „Allein gegen alle – genau die Situation, die Werbestrategen gerne haben“, frohlockt Parteisprecher Hanno Harnisch vorsichtig. Aber auch er weist fast schon demonstrativ jede parteitaktische Überlegung von sich: „Das ist das letzte Ziel, von diesem Krieg politisch zu profitieren.“
Auch Gysi spricht lieber von den getöteten serbischen Soldaten. Den Grünen jetzt Wähler abzujagen, „ist nicht die Frage, die mich in erster Linie beschäftigt“, sagt er. So ganz kann er den Taktiker in sich aber nicht verleugnen und spricht dann doch von der Konkurrenz. Die Grünen hätten eine ganz andere Tradition als die PDS. Deshalb sei es schwer zu sagen, ob enttäuschte Grünen-Wähler jetzt zur PDS überliefen. Gysi bleibt vorsichtig.
André Brie, einer der entschiedensten Reformer der Partei, wagt sich stärker aus der Deckung: „Der Krieg ist zwar traurig, aber doch wohl eine Chance für die PDS“, sieht es der Wahlkampfchef der Partei. Seit der Rede Gysis im Bundestag spüre er in den Medien eine „beträchtliche Nachdenklichkeit“. Das stimmt Brie optimistisch. Zum ersten Mal sei es für eine Partei wie die PDS möglich, die politische Stimmung im Land zu kippen.
Die PDS als einzige Anti- Kriegs-Partei – das sieht auch der Parteivorsitzende Lothar Bisky so. Doch mit verhaltender Wut stellt er fest, daß sich in Deutschland eine „Einsicht in die Notwendigkeit“ breit macht. Der Krieg sei notwendig, so werde es im Bundestag verkauft, so sähen es viele Deutsche: „Das ist ein altes DDR- Produkt, das wieder lebendig wird“. Bisky sieht aus, als sei er vom ganzen deutschen Volk enttäuscht. Die Stimmung im Land macht ihn pessimistisch: „Was wir am linken Rand vielleicht gewinnen, verlieren wir wieder bei einem anderen Teil unserer Wählerschaft.“
Trotzdem möchte die PDS jeden Erfolg herausstellen, und sei er noch so klein. Stolz verkündet die Berliner PDS-Chefin und Bundestagsabgeordnete Petra Pau, daß sechs parteilose Landespolitiker der PDS beigetreten sind. Was sie nicht sagt, ist, daß alle sechs seit Jahren in der Berliner PDS an vorderster Stelle Politik machen. Nicht gerade ein spektakulärer Wechsel der Fronten. Jutta Wagemann
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