: Milošević treibt Albaner über die Grenze
■ Trotz massiver Luftangriffe der Nato sind im Kosovo wieder Zehntausende Menschen auf der Flucht. Das westliche Militärbündnis leitet „Phase zwei“ ein und will nun auch serbische Panzer und Truppenteile bombardieren
Berlin (taz) – Die Nato gerät unter Druck. Fünf Tage nach dem Beginn ihrer Luftangriffe gegen Restjugoslawien geht die serbische Offensive gegen die Kosovo- Albaner ungebrochen weiter – sogar mit größerer Intensität als zuvor. Zu Zehntausenden sind die Menschen auf der Flucht. Allein am Samstag sollen nach Angaben der Regierung in Tirana binnen weniger Stunden rund 20.000 Flüchtlinge in Albanien eingetroffen sein. Zuvor hatten die Serben einen Grenzübergang bei Morine geöffnet. Dort bildete sich eine rund einen Kilometer lange Schlange. Daneben stand eine Gruppe serbischer Soldaten mit Maschinengewehren.
Die Flüchtlinge kamen aus Dörfern bei Prizren. Sie berichteten von Angriffen serbischer Banden, Plünderungen, Brandstiftungen und Morden. Andere flohen über die Grenzen nach Makedonien oder Montenegro. Nach Nato-Angaben sind im Kosovo bisher mehr als 500.000 Menschen vertrieben worden.
Flüchtlinge aus Priština berichteten, daß albanische Läden geplündert und angezündet worden seien. Nach Informationen der taz aus Priština wurden Menschen aus ihren Häusern geholt und ins Stadion gebracht. Das Informationsbüro „Kosova- Info-Line“ teilte mit, es würden Flugblätter verteilt, die die Albaner zum Verlassen des Kosovo aufforderten. Wie die kuwaitische Nachrichtenagentur Kuna gestern meldete, soll der gemäßigte Führer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, verhaftet worden sein. Zuvor hatte ein Nato- Sprecher in Brüssel gesagt, Rugova halte sich versteckt. Sein Haus sei niedergebrannt worden. Eine unabhängige Bestätigung dieser Berichte gibt es nicht.
Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping reagierte gestern angesichts der Berichte über die Lage im Kosovo mit den Worten: „Hier beginnt ein Völkermord, und das muß man unterbinden.“ Die „Phase zwei“ des Nato-Angriffsplans solle sich gezielt gegen das jugoslawische Militär richten, „das im Kosovo stationiert ist und systematisch Menschen ermordet“.
Nato-Generalsekretär Javier Solana hatte am Samstag nach Abstimmungen mit allen verbündeten Regierungen die sogenannte Phase zwei der Angriffe beschlossen. Dies bedeutet, daß Kampfflugzeuge auch Panzer, Artillerie und Soldaten angreifen, die an der Offensive im Kosovo beteiligt sind. Damit ist mit einer deutlich erhöhten Anzahl von Opfern zu rechnen, auch wenn es darüber bislang keine zuverlässigen Angaben gibt.
Eigentlich hatte die Nato in der „Phase eins“ die jugoslawische Luftabwehr entscheidend zerschlagen wollen, damit sie für „Phase zwei“ die unangefochtene Luftüberlegenheit hätte. Diese Voraussetzung ist offenbar nicht erfüllt, wie das Eindringen jugoslawischer MiGs in den gesperrten Luftraum über Bosnien-Herzegowina zeigt. Doch die Verschärfung der serbischen Offensive im Kosovo und die Fernsehbilder über Flüchtlinge haben das Nato-Hauptquartier offenbar zum Vorziehen der „Phase zwei“ bewogen. Druck gibt es auch aus einer anderen Richtung. Je länger die Angriffe sich hinziehen, ohne daß Jugoslawiens Präsident Milošević einlenkt, desto lauter könnte die Kritik in den eigenen Reihen werden. bs
Tagesthema Seiten 2 bis 5, Debatte Seite 10
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