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"Die Bilder, die wir sehen, gehen nicht an einem vorüber"

■ Zwei Dinge sind für Helmut Lippelt von den Grünen wichtig: Die Einsätze der Nato im Kosovo und das Streiten darüber in der Partei. Gegen einen Sonderparteitag zum Thema hat er nich

taz: Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hat gesagt, die Friedensbewegung, der Pazifismus sei tot.

Helmut Lippelt: Das ist völliger Unsinn. Der Pazifismus hatte in seinen Ursprüngen viel zu tun mit zwischenstaatlichen Kriegen. Was wir jetzt erleben, ist aber innerstaatlicher Völkermord. Dagegen wird nun interveniert, nach einer endlosen Kette von erfolglosen Verhandlungen. Pazifismus ist die Eingrenzung des Militärischen.

Das sagen Politiker, die sich nicht als Pazifisten begreifen, auch. Ist der Pazifismus nicht tot?

Nein. Der Pazifismus ist der angestrengte Versuch, daß das Militärische nicht zum Militaristischen wird. Außenminister Joschka Fischer hat etwa dafür gesorgt, daß der Nato-Rat permanent tagt und damit das Primat des Politischen erhalten bleibt.

Ihr Fraktionskollege Christian Ströbele gehört zur Minderheit der Nato-Einsatzgegner. Wie lange wird er noch bleiben?

Ströbele wird der letzte sein, der die Partei verläßt. Ich hielte einen solchen Schritt auch für falsch. Wir brauchen diese Positionen, wir müssen uns mit ihnen weiterhin auseinandersetzen. Sie reflektieren, was viele Menschen, gerade auch unsere Wählerinnen und Wähler, denken. Auch Ströbele hat mir nach meiner Rede im Bundestag gratuliert, auch wenn wir anderer Ansicht sind. Solange wir in diesem Geist miteinander umgehen, kann ich keine wirkliche tiefe Krise der Partei erkennen. Zudem ist die PDS doch nun wirklich keine glaubwürdige Alternative.

Müßten die Grünen mit dem Abgang ihres pazifistischen Flügels Wahlverluste befürchten?

Nein. Was uns weit mehr schaden würde, wäre der zynische Gebrauch von Politik.

Ströbele fordert einen Sonderparteitag. Müssen Sie da nicht mit einer Niederlage rechnen?

Ich würde solch einen Sonderparteitag begrüßen. Wir brauchen jetzt eine ganz intensive Diskussion mit unserer Basis. Was die Kräfteverhältnisse angeht, bin ich mir da gar nicht sicher, ob die Mehrheit auf einem solchen Parteitag den Nato-Einsatz verurteilen würde. Dazu sind doch zu viele in der Partei auch emotional von den Bildern, die wir sehen, betroffen. Das geht nicht an einem vorüber.

Was geht Ihnen durch den Kof, wenn Sie die Bilder sehen?

Ich kenne einige der Unterhändler persönlich. Nach den mir jetzt vorliegenden Informationen soll Alush Gashi, mit dem ich einen ganzen Abend diskutiert habe, ermordet worden ein. Solche Meldungen gehen mir sehr, sehr nahe. Herr Gashi ist kein Extremist, er hat den Rambouillet-Vertrag mitgetragen. Wenn man Menschen wie ihn ermorden sollte, zeigt sich für mich hier die Fratze des Faschismus. Da stelle ich unweigerlich Vergleiche mit deutschen Sonderkommandos während des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan her. Ich, der ich am Ende des Zweiten Weltkrieges 12 Jahre alt war, kann mich von solchen Vergleichen nicht lösen.

Wenn die Luftangriffe Mord und Vertreibung nicht verhindern, kommt die Nato um den Einsatz von Bodentruppen nicht vorbei?

Das ist das große Problem. Im Zweiten Weltkrieg ist der deutsche Widerstand auch nicht durch die alliierten Luftangriffe allein gebrochen worden. Das ist eine objektive Tatsache, vor der wir nun in Jugoslawien stehen.

Müßte Ihre Partei nicht jetzt offen den Einsatz der Bodentruppen diskutieren?

An dem Punkt bin ich sehr, sehr vorsichtig. In der Nato als Bündnis von demokratischen Staaten wird eine Zustimmung zum Einsatz von Bodentruppen ganz schwer sein. Eine Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo über das Ziel von Rambouillet hinaus würde die Grünen enorm belasten. Deshalb ist die direkte Forderung nach einem Bodeneinsatz fahrlässig. Andere werden das sicherlich fordern – ich nicht.

Das klingt ziemlich hilflos.

Das mag sein. Ich denke, daß neben den Luftangriffen, die zur Zerstörung des militärischen Potentials führen müßten, die serbische Bevölkerung mit Sendern und Flugblättern über die wahren Ursachen dieses Krieges aufgeklärt werden muß. Ich hoffe, daß die internationale Staatengemeinschaft deutlich macht, daß die Mörder und Schreibtischtäter der Vertreibungen verfolgt und vor das Internationale Tribunal gestellt werden. Gegen einen Kommandoeinsatz zur Ergreifung von Arkan, der in Bosnien-Herzegowina an Massenerschießungen teilgenommen hat, hätte ich nichts einzuwenden.

Ist ein Verbleib des Kosovo in Jugoslawien noch denkbar?

Ich glaube nicht. Auch ein Kosovo, aus dem alle Albaner vertrieben sind, wird Jugoslawien nicht halten können. Rambouillet war der letzte Versuch, die staatliche Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien nicht anzutasten. Solche Dogmen werden sich nicht mehr halten lassen.

Interview: Severin Weiland, Bonn

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