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Die Schwarzwaldmädels

Filme aus Deutschland waren Weltklasse – bis zur Nazi-Ära. Nach 1945 dominierten Schwarzwald- und Immenhofmädels. Daran haben auch Autorenfilmer wie Wim Wenders kaum etwas ändern können. Ein Rückblick auf das Nachkriegskino. Teil XII der Serie „50 Jahre neues Deutschland“  ■ Von Kurt Scheel

Wenn ich mich ans frühe Kino der Bundesrepublik zu erinnern versuche, fallen mir nur einige Filme ein, an die ich ohne Widerwillen zurückdenke, die vielleicht sogar gut sind: 1949 „Der Ruf“ mit Fritz Kortner, in den fünfziger Jahren „Das doppelte Lottchen“ von Josef von Baky, „Der Verlorene“ von Peter Lorre, Erich Kästners „Pünktchen und Anton“, „Ludwig II.“ von Helmut Käutner, „Ich denke oft an Piroschka“ von Kurt Hoffmann, „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Hoffmann, Hoffmanns „Wir Wunderkinder“, Rolf Thieles „Das Mädchen Rosemarie“, Bernhard Wickis „Die Brücke“ und Wolfgang Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“, 1960 schließlich „Flucht nach Berlin“ von Will Tremper und „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“ von Fritz Lang.

Ein paar Kinderfilme, ein paar Komödien, einige Filme, die sich mit der Nazi- Zeit oder ihrem Fortleben in der Bundesrepublik auseinandersetzen. Ich habe hier die Handvoll guter Defa-Filme aus diesen Jahren weggelassen, Staudtes „Der Untertan“ beispielsweise – trotzdem, wie klein ist meine Liste, wie wenig hat Bestand gehabt von den achtzig bis hundert Filmen, die zwischen 1949 und 1960 pro Jahr in der Bundesrepublik gedreht wurden.

Und an die anderen, die erfolgreichen, die ich im Kino gesehen habe, denke ich mit Abscheu: „Schwarzwaldmädel“, „Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt“, „Der Förster vom Silberwald“, diese ganze Heimatfilmscheiße, der kongenial Schlagerfilme zur Seite treten (wie etwa „Liebe, Tanz und tausend Schlager“ mit Caterina Valente und Peter Alexander): „the horror, the horror“ (Joseph Conrad).

Und Heinz Rühmann? Zum Kotzen, von „Wenn der Vater mit dem Sohne“ bis zu „Der Pauker“. Verlogenheitskitsch, und Heinz Erhardts Spießerlustspiele sind auch nicht besser. Mit diesem Mist bin ich aufgewachsen! Nicht zu vergessen die Stars der zweiten Reihe: Gunther Philipp, Beppo Brehm und Grete Weiser – jeder Name ein Schlag unter die Gürtellinie.

Der ganz gewöhnliche Deutschfilm jener Jahre ist eliminatorisch: Es geht um die Vernichtung von Wahrheit und Qualität. Es genügt nicht, ein schwachsinniges Drehbuch zu haben, mieseste Production- values – von der einfallslosen Kamera bis zur schleimigen Musik – gehören dazu und werden nur noch überboten von lustlosen und unfähigen Schauspielern, und zusammen ergibt das „Dreizehn kleine Esel und der Sonnenhof“ (1958), die Quintessenz dieses ersten Dezenniums westdeutschen Filmschaffens, mit Waisenkindern und Hans Albers als der Globetrotter „Don Schosé“ unter der Regie von Hans Deppe.

Und wer hat Schuld an dieser filmischen Schreckensherrschaft? Adolf Hitler. Der deutsche Film hat sich nie vom Dritten Reich erholt. Seine besten Produkte bis zum Ende der fünfziger Jahre waren, siehe oben, Auseinandersetzungen mit der Nazi-Zeit, die freilich, wollten sie ihr Publikum erreichen, diesem Friedensangebote machen mußten: in Gestalt des notorisch „anständigen Deutschen“, der sauber geblieben war; paradigmatisch (und sympathisch) ist das Hansjörg Felmy in „Wir Wunderkinder“: der Traum der jungen Demokratie von sich selbst, vor dem Alptraum der ewigen Nazis und Opportunisten. Vergangenheitsbewältigung light, aber wie auch anders in diesem Massenmedium, wenn es sich nicht von vornherein in die Filmkunstkinos und Cineastenhöhlen zurückziehen wollte?

In seinen normalen Produkten versprach das deutsche Kino seinem Publikum damals „ein paar schöne Stunden“, und das hielt es in gewisser Weise auch, aber um einen hohen Preis. Denn die Lüge des Eskapismus, die jeder wahre Kinogänger gegen kritische Kritiker verteidigen würde, ist vor dem Nazi-Hintergrund unerträglich. Es handelt sich um eine pathologische Verlogenheit des deutschen Normalfilms, und gerade in den Heimatfilmen tritt dies mit Macht ins Bewußtsein als eine Wiederkehr des Verdrängten.

Viele dieser Filme kreisen um ein schwarzes Loch, die Nazi-Zeit. So auch „Grün ist die Heide“ (1951): Denn die Wilderergeschichte, die die Handlung vorantreibt, erzählt von einem schlesischen Gutsbesitzer, der als in die Lüneburger Heide Vertriebener – das heißt als Kriegsopfer recht eigentlich – sein Menschenrecht auf Reheschießen nur noch illegal, als Wilderer eben, einfordern kann. Der von den Nazis angezettelte und im deutschen Namen veranstaltete Krieg hat ihn räumlich und seelisch entwurzelt, und diese Tragik grundiert den Film...

Aber das ist nur ein analytischer Rückblick, nicht der des Publikums damals im Kino. Man kann natürlich auch dem Filmdreck der fünfziger Jahre interessante Thesen über die Verfassung der Westdeutschen entnehmen. Aber das ändert nichts daran, daß es sich bei diesen Filmen um Abfall handelt – ein Archäologe geht anders damit um als jemand, über dem man eine Mülltonne ausleert.

Der deutsche Film dieser Jahre ist in der Regel provinziell, für eine Volksgemeinschaft gemacht, die sich kollektiv die Wunden leckt und nicht behelligt werden will. Er kann demzufolge keine Stars aufbauen, die jenseits von Husum und Altötting Interesse fänden. Die handwerkliche Qualität, so sie überhaupt noch vorhanden ist, in Käutners Filmen beispielsweise, ist ein schöner Luxus, dessen die deutsche Filmwirtschaft zum kleinen Erfolg aber nicht unbedingt bedarf, und „Die Mädels vom Immenhof“ sind das Ergebnis.

Jetzt machen wir einen Sprung, lassen die Edgar-Wallace-Filme (ab 1959) aus, die Karl-May-Filme (ab 1962), denn „Papas Kino ist tot“, wie das Oberhausener Manifest des Jungen Deutschen Films 1962 triumphierend feststellt, und es verspricht, Remedur zu schaffen. Das dauert dann zwar noch, aber 1966 ist es endlich soweit: „Abschied von gestern“ von Alexander Kluge, „Es“ von Ulrich Schamoni, „Der junge Törless“ von Volker Schlöndorf und „Schonzeit für Füchse“ von Peter Schamoni kommen ins Kino – kein schlechter Start für die Rebellen.

Jetzt geht's lohos! Jetzt übernehmen unsere Leute das Kino, und tatsächlich habe ich mir in den folgenden Jahren gerne deutsche Filme angesehen. Viele dieser Filmemacher, wie sie sich nannten, waren schon bald wieder verschwunden, aber ein Quartett hatte Bestand: Alexander Kluge, Werner Herzog, Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders. Diese glorreichen vier waren nicht nur Regisseure, sondern Autoren, und wir bewunderten sie, identifizierten uns mit ihnen, denn sie brachten das, was uns bewegte, ins Bild und zur Sprache. Auch wenn nicht jeder Film eine Offenbarung war, bei ihnen fanden wir unser Lebensgefühl – das der Achtundsechziger, der Hippies, der Revolte – wieder.

Es war nur eine kleine, verschworene Gemeinschaft, die sich in Kinokatakomben zur Kommunion versammelte. Aber was machte uns das! Waren wir doch im Besitz der Wahrheit, und in den Feuilletons und auf Festivals wurden unsere Filme gefeiert. Von den späten Sechzigern bis Mitte der Siebziger wurden in Deutschland meist Sexfilme produziert – 1973 waren die drei erfolgreichsten deutschen Filme „Liebesgrüße aus der Lederhose“, „Das Bullenkloster“ und „Schulmädchenreport 5. Teil“: So wenig sich die Studentenbewegung für die Restbevölkerung interessierte, so wenig kümmerte uns Initiierte das heidnische Normalpublikum.

Der Junge Deutsche Film hat seine Gemeinde gehabt, sich aber nie fürs Publikum interessiert: Das war die Kehrseite der Idee vom Autorenfilm, der es in Deutschland zu keinem Truffaut gebracht hat. Und das mußte er auch nicht, denn durch öffentlich-rechtliche Kuratorien und staatliche Filmförderung, konnte der deutsche auteur an Gelder für einen subversiven Film kommen, der auf dem Festival in Aix-les-Paines wenigstens lobend erwähnt wurde, was nun wiederum die sozialliberalen Gremien als Erfolg verbuchen konnten, womit sich der schöne, vielleicht etwas inzestuöse Zirkel schloß.

Zehn, fünfzehn Jahre lang hat es in der Geschichte der Bundesrepublik originelle, innovative Filme gegeben. Das Ende dieses New German Cinema, das bei den Cineasten in aller Welt Beifall fand, begann in den achtziger Jahren. Der Grund für das langsame Verschwinden des deutschen Autorenfilms mit den Regisseurhelden Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Werner Herzog und Wim Wenders lag in seiner kreativen Erschöpfung, in seinem prätentiösen Kunstwollen.

Und, natürlich, in den Produktionsbedingungen. Zehn Jahre hatte man sich nicht daran gestört, war dem Dilettantismus sogar ein gewisser Charme eigen gewesen: Hauptsache nicht professionell! Denn diese Filmemacher waren, genau wie ihr kleines, feines Publikum, Erben der deutschen Kunstreligion: Schöpfer und Bastler – keine Ingenieure! –, denen es um Selbstverwirklichung ging. Aber dazu war der Film einfach ein zu teures Medium geworden, und auch die Zeit war nicht mehr danach: Die hedonistischen achtziger Jahre verwandelten Utopien in Flausen, an denen nur noch die etwas Langsameren festhielten. Ein Wenders-Film nach einem Handke-Drehbuch – das war plötzlich nur noch peinlich.

Der Rest ist Schweigen. Besser: Was seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland gedreht wird, ist mir allenfalls aus dem Fernsehen bekannt. Ob Doris Dörries „Männer“ oder Detlev Bucks „Karniggels“: Dafür gehe ich nicht ins Kino. Ist ja nicht schlecht, aber nicht besser als ein „Tatort“. Mit anderen Worten: Seit den sechziger Jahren zeigt man im TV, was es vorher nur im Kino gab, recht gut sogar – verglichen mit „Schwarzwaldmädel“ ist jede Folge von „Der Bulle von Tölz“ ein intellektuelles Meisterstück.

Von der schönen Episode des Neuen Deutschen Films abgesehen – wenn ich die westdeutsche Filmgeschichte Revue passieren lasse, bleibt verdammt wenig übrig. Es ist schon so: Der deutsche Film hat sich nie vom Dritten Reich erholt, hat nie wieder an seine heroische Phase der Stummfilmzeit, der ersten Tonfilme anknüpfen können. Für einen Kinogeher war das nie ein Problem. Es gab ja immer genug wunderbare Filme, und ob sie nun aus Frankreich oder Italien kamen, aus Schweden oder Polen, Spanien oder Japan, England oder direkt aus dem Paradies Amerika – das war uns ganz egal.

Es wird auch in Zukunft keine deutschen Filme geben, die uns Kinogeher verzaubern; mehr als „Aimée und Jaguar“ ist nicht drin: Dazu mangelt es an Geld, Produktionsstrukturen, Talent. Und sollte es Begabungen geben, so werden sie ihre Filme nicht auf Dauer in Babelsberg oder Geiselgasteig drehen, sondern in Hollywood, wie es Ernst Lubitsch vorgemacht hat, als er 1922 nach Amerika ging und dort der wurde, den wir bis heute lieben.

Denn darin besteht ja Hollywoods Größe: Daß es allen Talenten die besten Chancen bietet, die auf der Welt zu finden sind. Wer im Kino stolz darauf sein will, ein Deutscher zu sein, wird auch in Zukunft viele Enttäuschungen erleben.

Kurt Scheel, 50, Mitherausgeber der Zeitschrift Merkur, ist Kind eines Hamburger Kinobesitzers, Filmliebhaber und Autor des Buches „Ich & John Wayne“ (Edition Tiamat, Berlin 1998, 231 S., 39,80 DM). Er lebt in Berlin

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