: Kaum Chancen für Waffenstillstand
■ Serbien bietet einseitige Waffenruhe zu den orthodoxen Osterfeiertagen an. Nato lehnt erst einmal ab. Grüne fordert neutralen Vermittler für das Kosovo. Internationaler Hilfseinsatz für die wachsende Zahl von Deportierten
Berlin (taz/dpa/AP/epd) – Der lange erwartete erste Schachzug von Slobodan Milošević nach dem Beginn des Nato-Angriffs erfolgte gestern abend: Aus Belgrad hieß es, Jugoslawien habe anläßlich der orthodoxen Osterfeiertage einen einseitigen Waffenstillstand in der südserbischen Krisenprovinz Kosovo ausgerufen. Der Waffenstillstand sollte gestern um 20 Uhr in Kraft treten. Dann würden Armee- und Polizeieinheiten ihre Aktionen gegen die „bewaffneten Albaner“ einstellen, berichtete das Staatsfernsehen. Gleichzeitig sollen mit Vertretern der Kosovo-Albaner, die den politischen Albanerführer Ibrahim Rugova unterstützen, konkrete Maßnahmen für ein vorläufiges politisches Abkommen und die Bildung von gemeinsamen Selbstverwaltungsorganen im Kosovo vereinbart werden.
Der stellvertretende jugoslawische Informationsminister Miodrag Popović sagte der BBC, der Waffenstillstand sei nicht zeitlich begrenzt, sondern permanent und verbunden mit einem Rückzug von Polizei und Armee aus dem Kosovo. Die Nato reagierte zurückhaltend. Nato- Sprecher Jamie Shea sagte in Brüssel: „Wir wollen sehen, was die Substanz ist, bevor wir reagieren.“ US-Präsident Bill Clinton hatte aber schon in den letzten Tagen einen Waffenstillstand ausgeschlossen, solange Milošević nicht die Rückkehr der von den Serben vertriebenen Kosovo- Albaner und eine internationale Friedenstruppe zulasse.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Angelika Beer hat gestern gefordert, die Nato müsse im Kosovo-Krieg „jetzt sofort einen konditionierten Waffenstillstand“ anbieten. Eine international akzeptierte Persönlichkeit wie der israelische Friedensnobelpreisträger Schimon Peres oder auch UN-Generalsekretär Kofi Annan könnten ein Verhandlungsangebot unterbreiten. „Wer Milošević als Verhandlungspartner ausschaltet, begibt sich in die Spirale der militärischen Gewalt, und das darf nicht passieren.“ Ex-Ministerpräsident Peres hat sich gestern bereit erklärt, eine Vermittlerrolle zu übernehmen.
Die Hilfe für die über 400.000 vertriebenen Kosovo-Albaner entwickelt sich währenddessen zu einem internationalen Großeinsatz. Für heute abend werden die ersten 600 Flüchtlinge in Deutschland erwartet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR will die humanitären Anstrengungen von Hilfsorganisationen, Militär und 56 Regierungen koordinieren. Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata erklärte, die Staatengemeinschaft solle sich auf eine längere Periode einstellen, in der Hilfe nötig sei.
In Bonn gestand Bundesaußenminister Joschka Fischer ein, daß die westliche Staatengemeinschaft das Ausmaß der Massaker und der Vertreibung völlig unterschätzt habe. Man habe nicht ahnen können, „daß man die Vertreibung eines ganzen Volkes als Waffen einsetzt“.
Inzwischen wurden die ersten Flüchtlinge – zum Teil gegen ihren Willen – in die Türkei und nach Norwegen ausgeflogen. Einige der Flüchtlinge protestierten, weil sie zunächst nach Angehörigen suchen wollten. Mehrere Länder hatten sich bereit erklärt, insgesamt 100.000 Menschen vorübergehend aufzunehmen. Das Welternährungsprogramm wollte gestern 28.000 Tagesrationen nach Albanien fliegen, die USA sagten 1,2 Millionen Tagesrationen zu. Die Schweiz brachte Zelte für 20.000 Flüchtlinge auf den Weg, Japan schickte Zelte für 10.000 Menschen. Britische und französische Pioniere bauten in Makedonien an einer Zeltstadt für 100.000 Menschen. Die Nothilfeorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ beschwerte sich, daß die Behörden bislang den Einsatz von Helfern der Organisation untersagten, obwohl sich die sanitären und medizinischen Bedingungen in den vergangenen Tagen dramatisch verschlechtert hätten.
Nach UNHCR-Angaben sind allein in Albanien gestern wieder 40.000 völlig erschöpfte Meschen eingetroffen. Borislav Milošević, jugoslawischer Botschafter in Moskau und Bruder von Slobodan Milošević, bezifferte die Zahl der Opfer in Jugoslawien durch die Nato-Angriffe auf mehr als 300 und etwa 3.000 Verletzte. Außerdem seien 50.000 Serben aus dem Kosovo nach Serbien geflohen.
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