: Die Orientierungsnot im Zickzack
Das Jüdische Museum Berlin ist geöffnet, aber noch nicht bespielt. Das Projekt, das vor allem einmal Deutschlands zentrales Museum für die Geschichte der Juden sein soll, krankt am Definitionsnotstand und treibt auf schmalem Grat zwischen Haus und begehbarer Plastik ■ Von Wolfgang Kil
Ende Januar wurde das von Daniel Libeskind entworfene Jüdische Museum in der Berliner Lindenstraße fertiggestellt. Trotz zehnjähriger Bauzeit gab es zur Übergabe des Gebäudes nicht einmal ein vages Konzept für die vorgesehene Ausstellung. Erst wenige Tage vor Baubabschluß war mit einer Stiftung die Unabhängigkeit der noch aufzubauenden Sammlung gegenüber dem Berlin-Museum, dem bisherigen „Mutterhaus“, rechtlich definiert worden. Doch als hätte es alles Gezerre um das künftige Schicksal der Institution (einschließlich Personalquerelen) nicht gegeben, wurde das leere Museum mit einem „Galadiner“ eröffnet. In dem Haus, dessen Architektur nach seinem Schöpfer ausdrücklich verstören oder zumindest nachdenklich stimmen soll, versammelte sich die „gesellschaftliche und kulturelle Elite der künftigen Berliner Republik“, um sich auf dem Tableau der neuen Hauptstadt mit Aplomb und großer Robe zu feiern: „450 erlesene Gäste speisen, hören zu, das ist Festkultur“, notiert ein enthusiastischer Reporter der Welt, „das neue Berlin – hier wird es endlich metropolenwürdig Ereignis.“ Vor nicht allzu fernen Zeiten hätte man solche Auftritte vielleicht dekadent genannt.
Der Publikumsansturm am nachfolgenden Wochenende war enorm. „Lange vor seiner Eröffnung ist Libeskinds Werk eine Legende“, war letzten November in der FAZ zu lesen, „suggestive Luftaufnahmen des zackigen Solitärs und verführerisch auseinanderstiebende Grundrisse haben ein veritables Assoziationsgewitter ausgelöst. ,Schockgefrorener Davidstern‘, ,entgleister Zug‘ – nie war ein Bau so sehr Überbau, selten ein Haus derart Theoriegebäude. Seine Mauern bersten schier vor Bedeutungsschwere.“ Nimmt man die vielen Lyrismen beim Wort, stellt sich die Frage, ob hier überhaupt noch Architektur verhandelt wird: „Das Geheimnis der Ausdrucksstärke des Gebäudes liegt in der Dramatik, in der architektonische Formen ein tiefgreifendes Thema ansprechen – das Verhältnis Berlins zu seinen Juden. Es ist die Geschichte einer intimen Verbindung, eines traumatischen Bruches und von Leerräumen des Gebäudes.“ So, nur als Beispiel, der Daily Telegraph. Wenn sich nun aber ein solches mit ideellen Erwartungen umfunktionieren läßt, dann stimmt da etwas nicht. Dann sind entweder die von Libeskind gefundenen Raummetaphern und Bilder nicht zwingend genug, oder sie teilen sich überhaupt in praxi nicht mit.
Am einfachsten läßt sich dem an der äußeren Erscheinung des Museums nachgehen. Schmale Lichtschlitze überziehen die Zinkblechverkleidung der ansonsten völlig hermetischen Fassade mit verstreuten Bildzeichen. Der Code, um sich auf diese rätselhaften Signale einen Reim machen zu können, scheint verlorengegangen zu sein: Solcher „Verlust des Schlüssels“ wäre noch die einleuchtendste Metapher für ein Museum, das einer vernichteten Kultur gewidmet ist. Libeskind allerdings begründet den Habitus des Museums, vom Grundriß bis zu jenem seltsamen Fassadendekor, aus einer Lektüre alter Berliner Stadtpläne; deren Geflecht aus Orten und Wegebeziehungen historisch relevanter Adressen habe er (in Ausschnitten) auf die Fassade transportiert. Nur, kein noch so gutwilliger Betrachter wäre je in der Lage, den Weg von diesen Abstraktionen zu den Originalplänen zurückzuverfolgen.
Das Risiko einer literarischen Übercodierung geht Daniel Libeskind bei allen seinen Entwürfen ein, es ist sozusagen sein Markenzeichen. Allerdings scheint er mit dem Ehrgeiz, eine neuzeitliche architecture parlante schaffen zu wollen, in diesem Fall zu scheitern. Das Museum spricht nicht als Haus, sondern wie ein kalligraphischer Text. Um dem teilhaftig zu werden, gibt es nur eine einzige Chance: die „Erzählung“ des Architekten glauben. Wer sie nicht kennt (oder nicht glaubt), dem erschöpft sich die Fassade als beliebige Zeitgeistgrafik, und die subtile Botschaft verhallt ungehört.
Gerade wenn man von einem Museum erwartet, über eine besonders schwierige Geschichte unterrichtet zu werden, dann dürfte das geeignete Medium hierfür die Ausstellung sein. Die Bestimmung des Baues wäre es, diese Ausstellung in intelligenter Weise zu beherbergen. Daß solches hier nicht geschieht, weil die Ausstellungsmacher mit den verwinkelten Grundrißfiguren und – ganz besonders – mit den die Wände willkürlich aufreißenden Lichtschlitzen ihre liebe Not haben, lassen die um Poesie ringenden Lobredner tunlichst beiseite. Überhaupt scheint ein Großteil der bislang verlautbarten Begeisterung noch aus der Phase des Rohbaus zu stammen, als erstmals die Presse hinter die Bauzäune gelassen wurden. Da verströmten die labyrinthischen Raumfolgen noch monumentales Pathos (wie es die Voids genannten Leer-Räume bis heute tun) und erfüllen so Libeskinds Intention, mit stark sinnlichen Gesten vor allem emotional zu berühren. Von der Archaik des rohen Betons ist nach dem Feinausbau der Ausstellungsflächen jedoch nichts mehr geblieben. Orientierungsnot im Zickzack der schiefen Ecken und spitzen Winkel bedrängt den Besucher.
„Das neue Haus dient nicht“, stellte der Freitag fest und folgerte: „Vielleicht sollte es überhaupt leer bleiben ... als hermetischer ,Ort der Sammlung‘ im anderen Sinne, des Nachdenkens darüber, welcher geistige und materielle Reichtum deutschen jüdischen Lebens auf immer vernichtet worden ist ...“ Mit diesem gleichfalls literarisch inspirierten Vorschlag beginnt die Diskussion um das so schwer zu definierende Sammlungs- und Belehrungshaus nun mit den Debatten um das Holocaust-Denkmal ineinanderzulaufen. Libeskinds Wettbewerbsvorschlag zu letzterem – die direkte Bezugnahme auf „sein“ nur drei Kilometer Luftlinie entferntes Museum – sollte zumindest eine Option öffnen: nicht als „Befreiungsschlag“, um zwei festgefahrene Projekte erleichtert in einem zu realisieren, sondern ganz redlich, von der Sache her. Und die liegt auf der Hand – der Neubau des Jüdischen Museums ist in einem Maße mit „Ideellem“ aufgeladen, daß das „Nützliche“ dahinter nicht nur hintansteht, sondern ernsthaft leidet. Unter allen Umständen ein „Gedankengebäude“ zu sein treibt das Projekt vom schmalen Grat zwischen Haus und begehbarer Plastik weit in die Sphäre individueller künstlerischer Manifestation hinüber, erzählt kaum die vom Künstler/Autor beabsichtigte, vielmehr längst eine eigene, damit authentische Geschichte (und wird gerade dadurch großer Kunst ebenbürtig), eine Geschichte, die mit den kommenden Monaten des präsentierten Leerstandes in ihre wohl entscheidende Phase gerät: Nachdem gewichtige Stimmen meinen, ein deutsches Holocaust-Denkmal sei am überzeugendsten in der Denkmals-Debatte selbst aufgehoben, gäbe Libeskinds Museumsbau, der jeglichen Dienst an Ausstellungsroutine und -pädagogik verweigert, jenem „immateriellen Denkmal“ einen überraschend materiellen Raum und Rahmen ... als das unbrauchbare Haus für die unlösbare Aufgabe. Und somit als Garant, daß unter dieses Geschichtskapitel auch künftig so bald kein Schlußstrich gezogen werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen