: Deportation bei Nacht und Nebel
■ Etwa 100.000 Kosovo-Albaner, die seit einer Woche auf beiden Seiten der jugoslawisch-makedonischen Grenze ausharrten, wurden erneut vertrieben. Jugoslawien schließt weitere Grenzübergänge, um Massenflucht zu stoppen
Blace/Brüssel/Berlin (taz/dpa) – Am Morgen waren sie wie weggezaubert. 40.000 in das makedonische Flüchtlingslager Blace vertriebene Kosovo-Albaner sind gestern verschwunden – zunächst spurlos. Augenzeugen berichteten später, makedonische Soldaten und Polizisten seien vor Morgengrauen in das Camp eingedrungen und hätten die halbverhungerten und –erfrorenen Menschen in völlig überfüllten Bussen davongekarrt, mehrere Kinder seien dabei gestorben. Deportation bei Nacht und Nebel.
Verschwunden sind gestern auch die zwischen 50.000 und 70.000 Flüchtlinge, die auf der anderen Seite der Grenze zu Makedonien ausharrten. Ein Mitarbeiter der dänischen Flüchtlingshilfe berichtete telefonisch, serbische Soldaten hätten sie zur Rückkehr in das Kosovo gezwungen. „Sie hatten furchtbare Angst“, erzählte Anders Ladekarl. „Jetzt sitzen sie im Kosovo fest, und es gibt keinen Schutz für sie durch die internationale Gemeinschaft.“ Die Aktion stünde wohl in Zusammenhang mit der einseitigen Waffenstillstandserklärung durch Jugoslawien. Nach Informationen der OSZE hat Jugoslawien seine Grenzen zu Albanien und Makedonien geschlossen.
Andrea Angeli von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berichtete später, 10.000 der von den makedonischen Behörden Deportierten seien inzwischen in Albanien eingetroffen und weitere auf dem Weg dorthin. Bis zum Abend wurde spekuliert, wo die restlichen 30.000 Flüchtlinge aus Blace geblieben sind. Einige von ihnen seien auf dem Weg in die Türkei und nach Griechenland hieß es, andere seien in von der Nato errichtete Camps im Inneren Makedoniens gebracht worden. Die makedonischen Behörden gingen ohne Absprache mit den humanitären Organisationen vor Ort vor, kritisierte das UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der UNO. Inzwischen hat die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo die halbe Million überschritten. Auf mehr als 520.000 bezifferte das UNHCR gestern die aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen in der Region. Bundesverteidigungsminister Scharping wußte gestern gar von 750.000 Fliehenden zu berichten – 43 Prozent der Bevölkerung des Kosovo. Die Luftwaffe begann unterdessen mit der Evakuierung von Flüchtlingen nach Deutschland. In Skopje startete ein Airbus mit 57 Flüchtlingen Richtung Nürnberg. Insgesamt sollten gestern rund 600 Flüchtlinge in sechs Flügen nach Deutschland kommen. Für die scheidenden EU-Kommissare Hans van den Broek und Emma Bonino blieb jedoch „erste Priorität, die Menschen in der Region zu halten“. Deswegen beschloß die EU- Kommission gestern, die geplante Hilfe für die Region von 30 Millionen auf fast 500 Millionen Mark aufzustocken. taud
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