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Die Traumpfade einer spröden Schönheit

■ Neu im Kino: „Der 32. August auf Erden“ von Denis Villeneuve geht nicht nur mit Kalendern spielerisch um

Zwischen einem Autounfall und einer brutalen Schlägerei wandelt Simone auf Traumpfaden. Nachdem die schöne Kanadierin sich zum Beginn von Denis Villeneuves Debütfilm „Der 32. August auf Erden“ kopfüber in ihrem von der Straße abgekommenen Auto wiederfindet, ist ihre Welt ganz anders geworden. Daß der Kalender den 32. August zählt, scheint ihr überhaupt nicht seltsam vorzukommen, außerdem erscheinen ihr Sinneseindrücke viel intensiver, und sie lebt plötzlich viel kompromißloser. Eine berufliche Reise nach Italien läßt sie gleich sausen und ruft statt dessen ihren langjährigen Freund Philippe an und bittet ihn, ihr so schnell wie möglich ein Kind zu machen.

Tod und (Wieder-) Geburt, Liebe und Gewalt sind die Pole, zwischen denen dieser sehr merkwürdige Film ständig pendelt. Die Geschichte folgt eher einer Traumlogik, und die Bilder dazu sind zwar realistisch, aber aus so seltsamen Perspektiven aufgenommen, daß auch sie wie geträumt wirken. Der Film hebt endgültig ab, nachdem der völlig verdutzte Philippe eher scherzhaft die Bedingung stellt, er würde Simone nur in einer Wüste schwängern. Die bucht prompt einen Flug nach Salt Lake City, und bald sehen wir unsere beiden Helden ganz alleine in der riesigen Salzwüste. Spätestens hier erkennt man auch eines der Vorbilder des jungen kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve, denn die Wüstenszenen mit dem einsamen Paar erinnern doch sehr an ganz ähnliche Einstellungen in Nicolas Roegs „Walkabout“. Wie dieser setzt Villeneuve mit der Kamera Kontrapunkte zum Erzählfluß, wie Roeg kann er virtuos die Zuschauer mit den Bildern in seltsame Stimmungen versetzen.

Immer mehr entwickelt sich der Film zu einer poetischen Liebesgeschichte, gerade weil die beiden nie den geforderten, allzu prosaischen Akt vollziehen. Und immer irritierender wirken die düsteren Kontraste: Die beiden werden von einem Taxifahrer mitten in der Wüste zuerst erpreßt und dann stehengelassen, beim Pinkeln entdeckt Simone in der Ödnis eine verbrannte Leiche, und zurück in der Stadt wird Philippe schließlich von vier Schlägern so verletzt, daß er ins Koma fällt.

An seinem Krankenbett dreht sich für Simone die Welt schließlich wieder normal: Es ist der 5. September, aber nach dieser Traumreise ist sie eine andere Frau geworden.

Auf jeden Fall eine schönere, denn es gehört auch zu den Talenten von Denis Villeneuve, daß er mit der Kamera die Schauspielerin Pascale Bussières von Einstellung zu Einstellung immer besser aussehen lassen kann. Sie hat eine sehr eigenwillige, spröde Schönheit – am ehesten erinnert sie noch an Jean Seberg, und nicht umsonst hat Philippe deren Poster in seinem Zimmer hängen. Man mag sich fragen, ob Villeneuve im Film nicht ein wenig zu spielerisch herumspringt. Aber für alle, die im Kino überrascht, bewegt und verführt werden wollen, ist „Der 32. August auf Erden“ eine traumhafte Entdeckung. Wilfried Hippen

Cinema / frz. Originalfassung mit Untertiteln, tägl. 21 Uhr

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