: Jenseits von Liebe und Haß
■ Eine ausgezeichnete Einführung in die amerikanische Geschichte vermeidet Klischees und informiert über bloße Nutzanwendung hinaus
Wie haben es die USA geschafft, bis heute verschiedenste ethnische Identitäten unter einem nationalen Dach zu halten, wenn auch nicht immer friedlich und freiwillig? In der Sowjetunion und nun auch in einem Teil Europas scheint dieser Traum heutzutage fast völlig zu scheitern. Vielleicht sollten wir uns mehr mit der amerikanischen Geschichte befassen und die Coca-Cola-Büchsen und Hollywoodstreifen beiseite legen.
Seit kurzem gibt es eine Neueinführung in die amerikanische Geschichte, die uns den Einstieg in das Studium derselben erleichtert. Auf rund 200 Seiten bündeln sich Abrisse über die verschiedenen Disziplinen und Abschnitte der amerikanischen Geschichtsforschung, die von den kolonialen assemblies zum modernen Bundesstaat bis zur Bedeutung von krace, class, und gender reichen. Besonders die Darstellung der fortschreitenden Paradigmenwechsel in der Geschichtsforschung in den USA ist nicht nur Studierenden zu empfehlen. In der Betrachtung des angeblichen melting pot, der Geschichte der „Native Americans“ und der Political Correctness, die für letztere wieder die Bezeichnung „Indians“ vorzieht, wird der sich konstant wandelnde Charakter der Weltmacht klar, die sich doch stets treu bleibt. Mythen werden kreiert und kolportiert, dann demontiert – und leben immer weiter. Skepsis hat die Heldenverehrung jedenfalls in der Geschichtswissenschaft abgelöst. Wer Amerika begreifen und nicht nur ablehnen oder lieben will, der muß das Land vor der Superpowerzeit kennenlernen, als es Revolution machte, um Steuern zu sparen (ein durchaus modernes Thema). Als es die älteste noch geltende Verfassung schrieb, als es zerfiel oder sein Territorium verdoppelte.
Noch vor zehn Jahren tauchte Amerika an den meisten deutschen Universitäten in der Lehre als Teil der Wirtschaftsgeschichte oder der Außenpolitik auf, also nur da, wo es für Deutschland eine Bedeutung hatte. Ein Professsor der amerikanischen Literatur in Tübingen lehnte es ab, Romane schwarzer Frauen als studienwürdig zu akzeptieren, während ein Historiker sie nicht als Zeugnisse schwarzer Kultur betrachten wollte. Das wird es heute nicht mehr geben. Höchste Zeit, die vielfältige Geschichte dieses spannenden Kontinents (nicht nur der USA) zu betrachten.
Es finden sich auch Parallelen zur deutschen Geschichte: So wurde z.B. die innere Staatsgründung trotz erfolgreicher Unabhängigkeit von der britischen Krone erst nach dem Ende des Bürgerkrieges 1865 Schritt für Schritt vollzogen, und eine wirklich amerikanische Identität konnte sich erst durch äußere Feinde, den Krieg gegen Spanien von 1898, die Besitznahme des Landes bis zum Pazifik und durch die massive Einwanderung aus Europa um die letzte Jahrhundertwende herausbilden. Geschichte ist oft aufregender als Legende. Auch wenn Geschichtsforschung mittlerweile als subjektive Annäherung an das Geschehene verstanden wird: Mit der „Einführung in die amerikanische Geschichte“ gibt es nun einen kundigen Einstieg in die Materie. Die weiterführenden Literaturhinweise bieten eine fachkundige Auswahl, die sich auf dem neuesten Stand zeigt. Zu allem gibt es die passende Webseite, eine Archivübersicht, Stipendienauswahl und eine nützliche Einführung in die Internetrecherche. Berlin hatte es schon immer besser mit dem John F. Kennedy Institut, einem der beiden Institute, die sich in Deutschland der Amerikanisitik widmen. Das andere liegt in Köln und ist dem 1992 verstorbenen Erich Angermann zu verdanken, der es gegen so manche Widerstände auf die Beine stellte und verteidigte. Der jetzige Leiter ist Jürgen Heideking, der mit seiner Kölner Kollegin, der Privatdozentin Vera Nünning, nun dieses ungemein hilfreiche Buch veröffentlichte. Vor allem von Amerikanern fordern wir Deutschen gern die Beschäftigung mit der europäischen Geschichte ein. Es ist an der Zeit, daß wir uns mit Amerika außerhalb von Klischeevorstellungen oder unseren eigenen Interessen beschäftigen. Der als Schulbuch daherkommende vorliegende Band liest sich als Überblick selbst in den kurzen Kapiteln anregend, trotz strenger Wissenschaftlichkeit, und sollte wirklich nicht nur von Studierenden zur Hand genommen werden. Annette Jander
Jürgen Heideking/Vera Nünning: „Einführung in die amerikanische Geschichte“. C.H. Beck, München 1998, 222 Seiten, 38 DM
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