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„Flüchtlinge sind Flüchtlinge, egal woher“

Ein Gespräch mit zwei Frauen aus Ex-Jugoslawien, die in Deutschland leben. Sie lehnen das Nato-Bombardement ab und befürchten, daß die Stimmung der Deutschen sich gegen sie wenden könnte  ■ Von Gitti Hentschel

In ihrer Heimat könnten oder würden viele nicht miteinander reden, sie wären Gegnerinnen, wenn nicht gar Feindinnen. Im Berliner „Treffpunkt und Beratungsstelle für jugoslawische Frauen“ der Arbeiterwohlfahrt treffen sie sich regelmäßig, in Beratungs- und Therapiegruppen, in Deutschkursen und zu anderen Aktivitäten. Frauen aus Ex-Jugoslawien, die den unterschiedlichsten ethnischen und religiösen Gruppen angehören, zum Beispiel Kroaten, Serben, Bosnier, Albaner, Ungarn, Muslime, Christen. Bis zum Krieg der Nato gegen Jugoslawien gab es, so die Initiatorin und Mitarbeiterin der Beratungsstelle, Jasenka Villbrandt, Austausch und Diskussionen unter den Frauen, doch gegenwärtig sind sie gerade über das, was sie alle bewegt, verstummt: den Krieg. Zu stark ist die Verunsicherung, zu groß auch die Angst, sich gegenseitig zu verletzen.

Ana und Vesna sind zwei der kontinuierlichen Besucherinnen der Beratungsstelle, die sich zu einem Interview bereit erklärt haben. Anna ist eine 37jährige Kroatin und mit einem Serben verheiratet. Die beiden sind als Kriegsflüchtlinge mit ihrer jetzt jugendlichen Tochter vor sechs Jahren aus Bosnien nach Deutschland gekommen, schwer traumatisiert durch die Greueltaten serbischer Milizen.Vesna ist 30 Jahre, stammt aus der jugoslawischen Provinz Wojwodina, ihre Mutter ist Ungarin, ihr Vater Kroate. Sie ist 1993 im Wege der Familienzusammenführung hierhergekommen. Ihr Ehemann ist in Deutschland geboren, sein Vater ist Serbe, die Mutter Kroatin, sie leben seit 30 Jahren in Deutschland. Die Familie von Vesna und viele Freunde leben in der Wojwodina, die sie reggelmäßig in den Ferien dort besucht. Beide Frauen wollen anonym bleiben.

Trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Herkunft und ihrer Erfahrungen lehnen sowohl Vesna als auch Ana die Intervention der Nato in Jugoslawien ab. Eine Aussage, die besonders für Vesna kaum möglich ist, ohne zu beteuern, daß sie immer schon in Opposition zu Miloevic gestanden hat. Sie stellt nicht grundsätzlich eine militärische Intervention zum Schutz der Kosovo-Albaner in Frage: „Okay, ein Eingreifen war vielleicht nötig, aber nicht mit Nato-Truppen, sondern mit Friedenstruppen. Die Nato kann nicht durch ganz Jugoslawien marschieren und alles unter Kontrolle haben. So etwas konnte Miloevic nicht unterschreiben. Wahrscheinlich hätte er auch so nicht unterschrieben. Aber nun hat er vor seinem Volk eine Entschuldigung, er ist jetzt sogar ein Held.“ Erst zu Ostern hat Vesna ihre Familienangehörigen in der Wojwodina besucht. Sie hat die Zerstörungen durch die Nato-Bomben selbst gesehen, gehört, wie die Menschen darauf reagieren: „Die Leute sind erschrocken, wütend, haben Angst und sind enttäuscht. Sie fühlen sich verlassen, von der Regierung, aber auch von der ganzen Welt, und von Europa besonders. Immer waren viele Leute gegen Miloevic. Aber jetzt gibt es fast keine Opposition mehr, auch in Wojwodina nicht, wo Miloevic noch bei den Wahlen verloren hat. Alle haben jetzt dasselbe Problem: Das Land wird zerstört. Die Schulen sind zu, weil es mehrmals täglich Alarm gibt; die Universitäten sind zu, viele Fabriken, die in der Nähe einer Kaserne stehen, sind zu oder bereits zerstört. Die Bombardierungen treffen nicht Miloevic, sondern das Volk, das serbische, aber auch das albanische, alle. Es ist Kriegszustand, und wenn die Reserven gerufen werden, muß jeder zum Militär, Leute aller Nationalitäten. Für alle gibt es nur noch das Problem von außen, und die Opposition hat keine Kraft mehr, etwas gegen Miloevic zu tun. Die Leute, die jetzt auf Brücken stehen oder zu Konzerten gehen, haben damals gegen Miloevic protestiert. Jetzt herrscht unter ihnen ein Gefühl der Ohnmacht.“ Daß es sich nicht um eine Intervention der Nato aus humanitären Gründen und zum Schutz der Kosovo-Albaner handelt, ist für Vesna klar: Zum einen, weil die Situation auch für die Kosovo-Albaner seit den Bombardements sehr viel schlimmer geworden ist, zum anderen, weil die Probleme „seit Jahren abzusehen waren, ohne daß sich jemand darum gekümmert hat“. Zusätzlich ist ihr Eindruck, daß an die Taten von Serben und anderen Nationalitäten unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. „Ich will das Leid der Albaner heute nicht kleiner machen. Aber zum Beispiel kurz nach Titos Tod ist der Nationalismus der Albaner erstarkt, damals haben sie Vertreibungen gemacht, aber da hat niemand reagiert. Und nur wenige Leute reden darüber, welche Probleme die UÇK macht, daß sie sich zum Teil über Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften finanziert.“ Für Vesna ist die pauschale Darstellung der Serben als Unmenschen, wie sie in westlichen Medien oft zu finden ist, schwer erträglich, und eine ähnliche bösartige Propaganda, wie sie Miloevic auf der anderen Seite betreibt. Schließlich gehören zu ihrem Verwandten und Freundeskreis auch Serben, die nichts mit den verbrecherischen Machenschaften des Miloevic-Regimes zu tun haben.

Seitdem sich eine nicht enden wollende Kriegsspirale und Eigendynamik des Krieges abzeichnet, treibt Vesna neben der Angst um ihre Familie noch eine andere Angst um: die Angst vor der Reaktion der Deutschen auf „die Serben“ oder auch „die Jugoslawen“ im eigenen Land. Begründung: „Ich glaube, vielen Deutschen ist noch gar nicht klar, daß sie im Krieg sind und was das heißt. Was passiert mit uns, wenn hier in Deutschland der erste tote deutsche Soldat bekannt wird? Ich bin kein Flüchtling, ich arbeite hier, meine Schwiegereltern und mein Mann sind schon 30 Jahre hier – aber dann wird alle Wut und aller Schmerz auf einer Seite – uns – abgeladen.“

Bei Ana, die selbst vor dem Terror der serbischen Milizen in Bosnien geflüchtet ist, resultiert die Ablehnung der Nato-Intervention aus einer grundsätzlich pazifistischen Haltung, aber auch aus einer tiefen Enttäuschung insbesondere über die USA. „Am Anfang des Krieges in Sarajevo habe ich immer gesagt: Die Amerikaner mit ihrer langen demokratischen Tradition lassen das nicht zu. Aber was ist passiert? Alle haben drei Jahre lang zugesehen, wie mehr als eineinhalb Millionen Granaten auf Sarajevo runtergingen. Warum ist jetzt die humanitäre Katastrophe größer als damals? Heute gibt es längst nicht so viele Flüchtlinge wie damals.“

Daß diese Intervention eine Lehre aus den Erfahrungen in Bosnien sein soll, glaubt Ana nicht. Sie ist inzwischen mißtrauisch geworden: „Das ist doch paradox. Sie wollen angeblich eine humanitäre Katastrophe verhindern und haben die schlimmste Fluchtwelle erst ausgelöst. Und das ist nicht zufällig. Und nicht aus Humanität und wegen der Flüchtlinge. Die werden für andere Zwecke mißbraucht, die nicht öffentlich gesagt werden, und so war das auch damals mit den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina. Heute geht es vielleicht um eine neue Weltordnung, neue Interessen und Einflußzonen, aber um humanitäre Gründe? Das glaube ich nicht mehr nach den Kriegserfahrungen in meinem Land und nicht nach dem, wie auf die Vertreibung der Serben aus Kroatien reagiert wurde. Da sind auch Alte, Frauen, kleine Kinder geflüchtet, tagelang, auf sie wurde geschossen, und niemand hat sich gekümmert. Und jetzt guckt die ganze Welt. Inzwischen denken die Leute doch: Alle Serben sind schlecht. Ich sage nicht, sie sollen jetzt nichts tun, man muß den Menschen aus Kosovo helfen, aber wenn man nur auf einer Seite hilft, hat das nichts mit Humanität zu tun. Flüchtlinge sind Flüchtlinge, egal aus welchem Land.“

Die Bilder von denNato-Bombardements und den albanischen Flüchtlingsströmen und Flüchtlingslagern rufen Anas eigene traumatische Erinnerungen wieder hervor, die sie in den letzten Jahren zu verarbeiten versucht hat. Dazu kommen Ängste, die durch die Aufnahme der „neuen“ Flüchtlinge aus dem Kosovo noch geschürt werden und ein Licht auf die Situation der Kriegsflüchtlinge in Deutschland überhaupt werfen: „Sollen wir jetzt wegen der Kosovo-Flüchtlinge alle weg? Niemand glaubt, daß ich noch traumatisiert bin. Ich lebe hier jetzt eine lange Zeit, aber wir haben keine Arbeitserlaubnis, leben von Sozialhilfe und erhalten immer nur eine sechsmonatige Duldung. Und jetzt bekommt man Angst, wieder weggeschickt zu werden. Aber wo soll ich hin? In die 'Heimat', in eine Stadt, wo ich sechs Jahre nicht war, nicht weiß, was da los ist, ob ich da eine Wohnung bekomme?“

Doch für Ana ist es auch aus einem noch anderen Grund undenkbar, zurückzukehren. Als Kroatin mit einem serbischen Ehemann kann sie sich ein Leben in Sarajevo nicht mehr vorstellen. „Dort wird mein Kind dann wieder als 'Ustaca' oder 'Tschetnik' beschimpft, weil es Eltern aus zwei verschiedenen Nationalitäten hat.“

Seitdem die Ausländerpolizei Anas Paß eingezogen hat, sind ihre Ängste vor einer Abschiebung noch größer geworden.

Für Jasenka, die Mitarbeiterin der Beratungsstelle, sind die Erfahrungen von Ana kein Einzelfall. Sie sind für sie der Ausdruck einer generell „harten und unerbittlichen Flüchtlingspolitik“, deren einziges Ziel es ist, „die Flüchtlinge wieder zurück in ihre 'Heimat' zu bringen auch wenn sie dort keine Heimat mehr haben“.

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