: Vergangenheitsbewältigung auf italienisch
■ Das Italienzentrum der FU startet eine Ringvorlesung über die Auseinandersetzung mit dem Faschismus. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Debatten hierzulande sind beabsichtigt
Italienische Geschichte an deutschen Universitäten – das sind in der Regel die Römer der Antike, die Päpste des Mittelalters und die Stadtrepubliken der Renaissance. Wer sich in der neueren Geschichte mit Italien beschäftigt, gerät leicht in den Verdacht, er habe es nur auf das gute Leben und nicht auf eine harte akademische Laufbahn abgesehen.
Um so verdienstvoller, daß das neu gegründete Italienzentrum der Freien Universität (FU) seine erste Ringvorlesung, mit der es sich dieses Semester einer breiteren universitären Öffentlichkeit präsentiert, der italienischen Zeitgeschichte widmet. Schließlich läßt sich anhand der Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden „verspäteten“ Nationalstaaten Deutschland und Italien, die erst nach einem mehr oder weniger katastrophalen Umweg über faschistische Diktaturen zur modernen Demokratie fanden, auch einiges über die eigene Geschichte lernen.
Nicht zuletzt waren es diese beiden Länder, die in Westeuropa durch den Zusammenbruch des Kommunismus am tiefgreifendsten verändert wurden: Wiedervereinigung hier, das Ende des überkommenen Parteiensystems dort. Mit dem Ende der Nachkriegszeit setzte auf beiden Seiten der Alpen eine neue Phase der Vergangenheitsbewältigung ein. Während sich in Deutschland, allen Kassandrarufen zum Trotz, die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus eher intensivierte als relativierte, sind die Dinge in Italien komplizierter.
Denn mit dem Sturz Mussolinis 1943 wurde das Land vom Verbündeten Hitlers selbst zum Opfer nationalsozialistischer Besatzungspolitik – und der Widerstand, die „Resistenza“ gegen die Deutschen und ihr faschistisches Marionettenregime wurde zum Gründungsmythos der italienischen Nachkriegsrepublik. Heute aber, so der Turiner Soziologe, Historiker und Deutschlandexperte Gian Enrico Rusconi zum Auftakt der Ringvorlesung am vergangenen Montag, gehe es nicht mehr um einen „sinnstiftenden Ursprungsmythos, sondern um die nüchterne Anerkennung einer kleinen Gruppe, die einer gedemütigten Nation ihre Würde wiedergegeben hat“. Als „historisch falsch“ bezeichnet Rusconi jüngste Versuche, den italienischen Antifaschismus unter Verweis auf die Moskau-Hörigkeit der Kommunisten in einen „totalitären“ und einen „antitotalitären“ Flügel auseinanderzudividieren. Debatten, die auch in deutschen Ohren vertraut klingen. Ähnliche Effekte sind zu erwarten, wenn am Montag der Kölner Historiker Lutz Klinkhammer über „Orte der Erinnerung an Krieg und Besatzungszeit“ referiert, am 10. Mai Jens Petersen vom Deutschen Historischen Institut in Rom über den „Ort Mussolinis in der Geschichte Italiens nach 1945“ oder am 17. Mai der renommierte Florentiner Faschismusforscher Enzo Collotti über die italienischen Rassengesetze. Von Dolce vita keine Spur.
Ralph Bollmann
Vorlesungen bis 19. Juli jeweils montags, 18 Uhr, im Henry-Ford-Bau, Hörsaal B
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