: Unheimliche Ruhe an den Grenzen des Kosovo
■ UN-Flüchtlingshilfswerk fordert Europa auf, die Nachbarländer des Kosovo zu entlasten und Flüchtlinge aufzunehmen. UNO: Die Flüchtlingskrise kann Jahre dauern
Genf/Skopje (dpa/rtr/AFP) – Europa muß die Tore für die Vertriebenen aus dem Kosovo öffnen. Das forderte gestern das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) angesichts der Destabilisierung der Situation in den Nachbarländern. UNHCR- Sprecher Kris Janowski forderte eine Intensivierung der Flüge aus Makedonien in europäische Staaten. Europa habe insgesamt bis zu 70.000 Plätze für Flüchtlinge angeboten. Die Länder müßten jetzt dazu stehen und konkrete Vorbereitungen für eine Aufnahme der Kosovo-Albaner treffen, sagte Janowski gestern in Genf. Nach Einschätzung der UNO wird die Flüchtlingskrise noch Jahre dauern. Das Problem sei riesig, und viele würden auch nicht zurückkehren, selbst wenn sich die Bedingungen daheim normalisiert hätten.
An den Grenzübergängen des Kosovo herrschte auch gestern wieder eine unheimliche Ruhe. Die Vertriebenen können ihr Land derzeit offenbar nur noch über die „grüne Grenze“ verlassen. Wie das UNHCR berichtete, überqueren nur noch vereinzelt Kosovo-Albaner die offiziellen Grenzübergänge zu den Nachbarstaaten. Im Niemandsland von Lojane an der makedonischen Grenze kommen allerdings immer wieder Flüchtlingstrecks an. Die Vertriebenen kommen meistens in der Nacht, weil sie befürchten, makedonische Grenzer könnten sie zurückschicken.
Die Behörden genehmigten inzwischen rund 3.000 Flüchtlingen, die in Lojane mehr als 24 Stunden lang festsaßen, die Einreise. Im makedonischen Grenzort Mali Malina, wo in den vergangenen Tagen bis zu 7.000 Menschen ankamen, gibt es nach Angaben von Hilfsorganisationen fast keine Nahrungsmittel mehr. Die UNO forderte die Regierung auf, Hilfslieferungen in das Bergdorf zuzulassen.
Nach Informationen eines Schweizer Diplomaten sollen die am Wochenende von den Serben an den Grenzen gestoppten Flüchtlinge im Kosovo in Seitentäler getrieben worden sein. Der Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen sei dadurch abgerissen, hieß es. Ein Kommandant der Kosovo-Untergrundarmee UÇK sagte in einem Telefongespräch mit dem Schweizer TV-Sender SF1, diese Flüchtlinge hätten nichts mehr zu essen. „Am dringendsten für uns ist eine humanitäre Soforthilfe für die Menschen, die sich noch im Kosovo bewegen“, sagte der Kommandant.
Die UÇK hat die Nato bereits zu gezielten Luftangriffen aufgefordert, um eine Gruppe von 40.000 anderen Flüchtlingen in den Bergen des Kosovo-Zentralmassivs vor Angriffen der serbischen Artillerie zu schützen. Die ausgehungerten Menschen seien seit Sonntag unter Beschuß und könnten nicht entkommen, sagte Sokol Bashota, Angehöriger des UÇK-Hauptquartiers, telefonisch gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir sind hier eingeschlossen und brauchen Hilfe.“
Das UNHCR nennt keine Zahlen zu den kosovo-albanischen Binnenflüchtlingen, weil es keine verläßlichen Angaben gebe. Die UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, bedauerte gestern in einem Interview mit der französischen Zeitung Libération, daß die Nato ihr keine Informationen über die Binnenflüchtlinge gebe. Sie forderte die Allianz auf, ihr Informationen aus der Luftüberwachung zu übermitteln. Bisher habe die Nato dies jedoch abgelehnt.
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