: Die CDU sucht neue Wege
Die Partei tagt und diskutiert ihre Zukunft. In der Frage des Kosovo-Krieges steht sie geschlossen hinter den Ideen von Außenminister Fischer ■ Aus Erfurt Nick Reimer
Nein, so hatten sich die Christdemokraten das nicht vorgestellt. Nachdem im November – wie es Hessens Wahlsieger Roland Koch nennt – die CDU der Nach-Kohl-Ära „personalpolitisch befriedet“ worden ist, wollten sich die Christdemokraten auf dem gestern zusammengetretenen 12. Parteitag ganz auf die programmatische Erneuerung konzentrieren. Doch daraus wurde nichts. Nicht Programmatik, sondern Hilflosigkeit dominierte zunächst das Parteitagsgeschehen.
Parteichef Wolfgang Schäuble weiß nicht nur, daß in Kriegszeiten die Oppositionsrolle noch schwerer ist als normalerweise. Er demonstrierte das auch. Seinen Angriffen auf die rot-grüne Regierung fehlte es beim Thema Kosovo an gewohnter Schärfe. „Man mag sich den Schlingerkurs nicht vorstellen, den die Roten und die Grünen fahren würden, wenn die Union an der Regierung wäre“, sagte Schäuble. Den eigenen außenpolitischen Schlingerkurs, den die christlich-liberale Koalition in den letzten zehn Jahren auf dem Balkan nahm, versuchte er geschickt zu umgehen. „Die Völkergemeinschaft hat eher zu lang als zu kurz versucht, mit Verhandlungen, Fristsetzungen, Angeboten die serbische Führung von Mord und Vertreibung abzuhalten.“
Bevor die Delegierten über einen von der Bundestagsgruppe eingebrachten Initiativantrag debattierten, gab Rupert Neudeck von Cap Anamur dem Parteitag eine Lageeinschätzung. Neudeck mahnte einen humanitären Korridor an zu den „70.000 Waldmenschen, die in Kosovos Tälern nach unserer Informationen seit Ende März keine Nahrung mehr haben“. Die Bundeswehr solle vermehrt humanitär helfen. Schon heute müsse man sich in Deutschland darauf vorbereiten, in absehbarer Zeit noch mehr Flüchtlinge aus dem Kosovo aufzunehmen. Neudeck bat den Parteitag um Unterstützung für ein Zeitungsprojekt: „Die Menschen brauchen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Informationen. Ohne die verlieren sie die Hoffnung.“
Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel gelobte dann auch, sich politisch für Neudecks Bitten einzusetzen und dem Zeitungprojekt zu helfen. „Der Parteitag“, so Vogel, „wird eine Zeitungspresse finanzieren.“
In der Debatte um den Kosovo-Konflikt sah der Außenpolitiker Friedbert Flüger eine erste Lehre: „Wir müssen die Nato-Osterweiterung schneller vorantreiben.“ Und auch für Serbien muß es eine europäische Zukunft geben. Heiner Geißler forderte, ein neues, modernes Völkerrecht zu schaffen. Zu oft würden auf der Grundlage des alten die Menschenrechte auf dem Tablett des Kommerzes geopfert. „Es wird der Nato nach dem Kosovo-Konflikt nicht mehr möglich sein, bei Völkerrechtsverletzungen wegzuschauen“, sagte Geißler. Insofern müsse sich das Bündnis beispielsweise stärker in China und der Türkei engagieren. CDU-Vize Rühe räumte Versagen in der Vergangenheit ein. Wer nicht die Kraft findet, ein Embargo zu machen, müsse sich nicht wundern, wenn er sich in militärischer Gewalt verstrickt, sagte er.
Kriegskritische Stimmen gab es nicht, alle Redner forderten die Abgeordneten auf, dem Initiativantrag zuzustimmen. Unter der Überschrift „Frieden für Kosovo“ wiederholt die CDU darin in Grundzügen die Forderungen von Außenminister Fischer. Außerdem soll Rußland stärker einbezogen werden, um eine militärische Eskalation zu vermieden. Dem folgte der Parteitag am Nachmittag einstimmig. Am späten Nachmittag kamen die 1.000 Delegierten dann doch noch zur Pragmatik. Das von der Parteiführung vorgelegte Papier „Erfurter Leitsätze – Aufbruch 1999“ soll nach Schäubles Vorstellungen als Arbeitsgrundlage, als Richtschnur für die Arbeit der Union bis 2002 dienen, die die Union schließlich wieder auf die Regierungsbank zurückbringen soll. Zu den wichtigsten Passagen des Antrags zählen eine neue Streitkultur innerhalb der CDU, neue Arbeitszeitmodelle und moderne Arbeitsorganisationsformen. Die Staatsquote soll auf 40 Prozent gesenkt werden, Reformentwürfe für Sozialhilfe und Tarifsystem vorgelegt werden. Allerdings enthalten die Leitsätze nur wenig zu strittigen Fragen, etwa der Familien- oder Bildungspolitik. Bis zur Abstimmung (nach Redaktionsschluß) mußten eine ganze Reihe von Ergänzungs- und Änderungsvorschlägen abgearbeitet werden.
Für Spannung sorgte gestern die Frage: Wird Helmut Kohl sprechen? Der Altkanzler traf erst gestern abend in Erfurt ein. Viele wünschen sich, Helmut Kohl wieder stärker in die politische Arbeit der Partei mit einzubeziehen.
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