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Hemmungsloses Massenmorden

Die deutsche Wehrmacht errichtete während des Zweiten Weltkriegs in Serbien ein militärisches Terrorregime. Die zahlreichen Greuel, die deutsche Soldaten damals an der Zivilbevölkerung verübten, sind noch heute im serbischen Bewußtsein tief verankert  ■   Von Walter Manoschek

Am 6. April 1999 gab die Nato bekannt, daß bei einem Bombenangriff auf das serbische Bergwerkstädtchen Aleksinac die ersten vier Zivilisten in diesem Krieg gegen Jugoslawien getötet worden waren. Man ist geneigt, diesem an Zynismen schon reichen Krieg einen weiteren hinzuzufügen: Die Nato hat Sinn für historische Gedenktage. Exakt 58 Jahre zuvor, am 6. April 1941, hatte Hermann Görings Luftwaffe ohne Kriegserklärung Jugoslawien überfallen.

Unter dem Kommando von General Alexander Löhr bombardierten 611 Kampf- und Jagdflugzeuge die von keiner Flugabwehr geschützte Hauptstadt Belgrad. In zwei Tagen und einer Nacht zerstörten 440 Tonnen Brand- und Splitterbomben weite Teile der Stadt. Als am 7. April 1941 die Bombardierung Belgrads beendet wurde, hatten mehr Menschen den Tod gefunden als bei den vorangegangenen Bombardierungen von Warschau, Rotterdam und Coventry zusammen.

Die schon bei der Bombardierung Warschaus erfolgreich praktizierte Strategie der Zerstörung des administrativen und logistischen Zentrums eines Landes, hatte sich auch hier als erfolgreich erwiesen. Die jugoslawische Luftwaffe war zur Gänze ausgeschaltet, die Regierung mußte aus Belgrad flüchten und war nicht mehr in der Lage, eine Verbindung zu den militärischen Stäben und Dienststellen aufrechtzuerhalten.

Zufrieden nahm Hitler zur Kenntnis, daß die von Südösterreich, Westungarn und Bulgarien vorstoßenden Bodentruppen der Wehrmacht und Waffen-SS nurmehr auf geringen Feindwiderstand trafen. Bereits am 18. April 1941 kapitulierte Jugoslawien. Der unter dem Codenamen „Unternehmen Strafgericht“ geführte Angriffskrieg gegen Jugoslawien dauerte ganze zwölf Tage. Eine militärisch reibungslose Angelegenheit in der Tradition der „Blitzkriege“. Damit schien die Süd-Ost-Flanke Europas für den bereits fest geplanten Überfall auf die Sowjetunion gesichert. Jugoslawien wurde als Staat zerschlagen und zwischen den Achsenpartnern aufgeteilt.

In Serbien richtete die Wehrmacht ein militärisches Besatzungsregime ein. Nach dem raschen Sieg verlegte Hitler die Kampftruppen nach dem Osten und ersetzte sie durch kaum ausgebildete und kampfunerprobte Besatzungseinheiten der Wehrmacht. Die nationalsozialistischen Okkupanten hatten schon bald die Kontrolle über das Land weitgehend verloren. Im September kontrollierten die Partisanen bereits fast ganz Serbien, mit Ausnahme der großen Städte. Hitler beauftragte daraufhin die Wehrmacht mit der Partisanenbekämpfung. Doch die Erfolge blieben aus. Verzweifelt meldete die Wehrmacht nach Berlin: „Die Räume sind zu groß! Die eingesetzten Truppen zu schwach!“

Als „trouble shooter“ für Serbien setzte Hitler den aus Österreich stammenden General Franz Böhme ein und beauftragte ihn, „auf weite Sicht im Gesamtraum mit den schärfsten Mitteln die Ordnung wiederherzustellen“. General Böhme interpretierte diesen Befehl Hitlers auf seine Weise: Er ordnete an, daß sofort „alle Kommunisten, als solche verdächtige männliche Einwohner, sämtliche Juden, eine bestimmte Anzahl nationalistischer und demokratisch gesinnter Einwohner als Geiseln festzunehmen“ seien. Sie sollten bei Verlusten der Wehrmacht im Verhältnis 1:100 für jeden Gefallenen und 1:50 für jeden Verwundeten von Exekutionskommandos der Wehrmacht erschossen werden. Damit leitete General Böhme den Holocaust der serbischen Juden durch die Wehrmacht ein.

Gestützt auf diesen Befehl erschoß die Wehrmacht im Herbst 1941 in einem wahren Blutrausch serbische Juden, Zigeuner und andere serbische Zivilisten. Waren Juden und Zigeuner als „Vernichtungsmasse“ nicht in ausreichender Zahl vorhanden, füllten andere serbische Zivilisten den „Opferpool“ auf. So etwa in den Städten Kraljevo und Kragujevac, wo sich Einheiten der 717. Infanteriedivision nach heftigen Artilleriekämpfen mit Partisanen und Tschetniks an der Zivilbevölkerung rächten. In den beiden Städten erschoß die Truppe innerhalb weniger Tage mehr als 4.000 Einwohner und richtete die beiden größten Massaker der Wehrmacht auf dem Balkan an.

Bezeichnend für das mörderische Koordinatensystem der Wehrmacht ist der Ablauf dieser Massenmorde. In Kraljevo wurden zuerst 300 „Kommunisten, Nationalisten, Demokraten und Juden“ ermordet, ehe am nächsten Tag über 1.400 wahllos zusammengetriebene Männer den Exekutionskommandos zum Opfer fielen. Ein ähnliches „Auswahlverfahren“ fand in Kragujevac statt: Zuerst wurden Juden, Kommunisten und die Strafgefangenen aus dem Ortsgefängnis erschossen, ehe die Truppe am nächsten Tag die restlichen Zivilisten liquidierte – insgesamt 2.300 Menschen. Das Gedenken an die Massaker der Wehrmacht in Kraljevo und Kragujevac ist tief im kollektiven Bewußtsein der Serben und Serbinnen verankert: Bis in die 80er Jahre durften Deutsche die Stadt Kragujevac nicht betreten.

Im Herbst 1941 gehörten die Massaker an Juden, Zigeunern und anderen serbischen Zivilisten zum festen Bestandteil des Besatzungsalltags der Wehrmacht. Bei diesen hemmungslosen Massenmorden ging die Übersicht über die Opfer verloren – selbst Kollaborateure gerieten in die Liquidierungsmaschinerie. Verwaltungschef Turner wies daraufhin die Kreis- und Feldkommandeure an, die Geiselopfer gezielter auszuwählen, wobei er sich des selbstgeschaffenen Problems bewußt war, daß bei der Quote von 1:100 die Opfer „nicht mehr gestellt werden können, wenn einigermaßen ein gewisser Schuldbegriff, auch nur auf Grund der allgemeinen Haltung der Festzunehmenden, in Betracht gezogen werden soll“.

Bei Juden und Zigeunern mußten so diffuse Auswahlkriterien allerdings nicht bemüht werden: Turner betonte, daß weiterhin „in jedem Fall alle jüdischen Männer und alle männlichen Zigeuner als Geiseln der Truppe zur Verfügung zu stellen“ seien. Während im offiziellen Schriftverkehr die Massenmordpolitik mit militärischen Deckbegriffen legitimiert wurde, konnte man unter Freunden auf solche Scheinargumente verzichten. In einem Privatbrief an SS-Gruppenführer Richard Hildebrandt legte Turner ganz offen die eigentlichen Beweggründe dar: „Habe ich dann in den letzten 8 Tagen 2.000 Juden und 200 Zigeuner erschießen lassen nach der Quote 1:100 für bestialisch hingemordete deutsche Soldaten und weitere 2.200, ebenfalls fast nur Juden, werden in den nächsten 8 Tagen erschossen. Eine schöne Arbeit ist das nicht! Aber immerhin muß es sein, um einmal den Leuten klarzumachen, was es heißt, einen deutschen Soldaten zu ermorden.“

Die ersten Aktivitäten des Besatzungsapparates richteten sich gegen die Juden und Zigeuner. Nach dem bereits in den anderen von den Nazis besetzten Ländern angewandten Schema, verfügte Wehrmachtsbefehlshaber General Ludwig von Schröder bereits sechs Wochen nach Besatzungsbeginn die Definition, Registrierung und Kennzeichnung der Juden und Zigeuner mit gelben Armschleifen, ihre Entlassung aus allen öffentlichen Ämtern und privaten Betrieben, Ausgehverbote, der Raub ihres Vermögens und die Einführung der Zwangsarbeit.

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 begann in Serbien der Partisanenkampf unter der Führung Titos. Trotz der brutalen Repressionspolitik durch deutsche Polizei und Wehrmacht, bei der allein bis August 1941 – wie Verwaltungschef Turner vermerkte – „rund 1.000 Kommunisten und Juden erschossen oder aufgehängt wurden“, breitete sich der Aufstand rasch aus. Doch je erfolgreicher der Partisanenkampf war, desto erbarmungsloser schlug die Wehrmacht zu. Die Mordquote 100 Serben für einen deutschen Soldaten wurde streng eingehalten. Und war keine ausreichende Zahl Serben vorhanden, suchte man die Opfer in anderen Bevölkerungsgruppen.

Bereits Ende November 1941 waren die etwa 6.000 erwachsenen männlichen Juden in Serbien „verschwunden“. Sie waren von Erschießungskommandos der Wehrmacht, die sich ausschließlich aus Freiwilligen zusammensetzten, erschossen worden. Unter ihnen befanden sich auch etwa 400 deutsche und österreichische Juden, die als Flüchtlinge in Serbien gelebt hatten.

Die Bilanz, die General Böhme nach nur zwei Monaten Aufenthalt als Bevollmächtigter Kommandierender General in Serbien im Dezember 1941 hinterließ, hatte es in sich: Den 160 gefallenen und 278 verwundeten Wehrmachtsangehörigen standen offiziell 3.562 im Kampf gefallene Partisanen und zwischen 20.000 und 30.000 erschossene Zivilisten gegenüber. Zum Abschied sprach General Böhme „allen deutschen zivilen Dienststellen für ihre unermüdliche Einsatzbereitschaft“ seinen Dank aus. „Die unermüdliche und treffliche Arbeit dieser Dienststellen erfolgte immer in mustergültiger Zusammenarbeit mit der Truppe. Vorwärts zu neuen Taten! Es lebe der Führer!“

Walter Manoschek, Politologe und Historiker an der Universität Wien, war an der Konzeption der Ausstellung„Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung beteiligt. Von ihm ist u. a. das Buch erschienen: „Serbien ist judenfrei. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42“. Schriftenreihe des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, 2. Auflage, München 1995

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