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„Hört auf, das Volk zu belügen!“

Der jugoslawischer Vizepremier, Vuk Draskovic, wagt es erstmals seit dem Beginn der Nato-Angriffe vor vier Wochen, Slobodan Milosevic' Kriegspolitik anzufechten. Er spricht sich für eine UNO-Friedenstruppe im Kosovo aus  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Seit dem 25. März steht Serbien unter Kriegsrecht. Alle Medien sind gleichgeschaltet, die ohnehin schwache Opposition wurde mundtot gemacht. Jede kritische Stimme könnte als Beeinträchtigung der Verteidigungskraft des Landes gedeutet und schwer bestraft werden.

Seit über einem Monat gibt es keinen Unterschied in den Aussagen führender Politiker, in allen Zeitungen kann man das gleiche lesen, in allen elektronischen Medien immer wieder dasselbe hören und sehen: Die üblichen Durchhalteparolen, scharfe Urteile über die „verbrecherische“ Nato, die „Tod und Zerstörung aus der Luft in Serbien sät“, die Zusicherungen, daß Jugoslawien für die Freiheit der ganzen Welt gegen den „amerikanischen Neonazismus“ kämpfe, daß die Nato sehr bald unter dem Druck der eigenen Öffentlichkeit auseinanderfallen, Rußland mit der Drohung eines Atomkriegs die „kriminellen Attacken“ der Nato aufhalten oder zumindest Jugoslawien mit modernsten Waffen aufrüsten würde. Das Volk müsse nur heroisch ausharren, denn Wahrheit und Gerechtigkeit seien auf seiner Seite.

Die eintönige staatliche Propaganda brach Sonntag abend aus heiterem Himmel der jugoslawische Vizepremier Vuk Draskovic in einem Interview mit dem Belgrader privaten Fernsehsender Studio B. „Das Regime soll endlich aufhören, das Volk zu belügen, denn die Nato wird sicher nicht auseinanderfallen und Rußland keineswegs für Serbien untergehen!“ erklärte Draskovic. Schon jetzt sei die Zerstörung Jugoslawiens größer als im Zweiten Weltkrieg, und der Schaden betrüge über 40 Milliarden Dollar. Statt der „lächerlichen“ Durchhalteparolen solle man dem Volk erklären, was von Serbien übrigbleibt, wenn die Nato das Land noch 20 Tage mit gleicher Intensität bombardierte, sagte Draskovic.

„Sind Vertreter der Sozialistischen Partei Serbiens (Vorsitzender: Slobodan Miloevic, d. Red.) bei gesundem Verstand, wenn sie behaupten, daß es heute in Europa kein freieres und demokratischeres Land als Serbien gibt? Wie frei ist denn ein Land, in dem Menschen nicht schlafen können, weil sie jede Nacht bombardiert werden?“ fragte Draskovic. Das staatliche Fernsehen solle endlich aufhören, die Wahrheit zu verheimlichen, und dem Volk sagen, was jeder, der ausländische Medien verfolgt, ohnehin wisse: Die Nato werde das Kosovo so lange bombardieren, bis die „serbischen Kinder“ in der Uniform der jugoslawischen Armee tot seien und die „Kosovo-Befreiungsarmee“ (UÇK) hereinspazieren könne.

Mit diesem Interview konnte sich Draskovic der Aufmerksamkeit in Serbien sicher sein. Trotzdem wagte es nur die Zeitung Glas javnosti, darüber kurz zu berichten. Vuk Draskovic, der Vorsitzende der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, war als Organisator der großen Demonstrationen gegen das serbische Regime im Winter 1996/97 weltbekannt geworden. Zusammen mit seiner Frau saß er, schwer mißhandelt, im Gefängnis. Doch letztes Jahr wurde er jugoslawischer Vizepremier. Ohne wirkliche Macht, wie behauptet wird. Es soll ein taktischer Zug Miloevic' gewesen sein, den eher moderaten Draskovic in die Bundesregierung miteinzubinden.

Nach Draskovic' Fernsehauftritt drängen sich zwei Fragen auf: War das ein mit Miloevic verabredeter Versuchsballon, der ein Einlenken des starken Mannes andeutet, oder versucht der monarchistische Wirrkopf wieder einmal im Alleingang Serbien zu retten, indem er seine alten Feinde, mit denen er heute in der Regierung sitzt, herausfordert?

Draskovic' für Montag angesagte Pressekonferenz fiel ohne Begründung aus. Doch sein Fernsehauftritt machte viele in Serbien nachdenklich: Er setzte sich für eine Stationierung von Friedenstruppen unter der Fahne der UN im Kosovo ein, also nicht nur zivile Beobachter, wie es Miloevic fordert. Draskovic erklärte dem Volk, daß weder Europa noch die USA die territoriale Integrität Serbiens und Jugoslawiens in Frage stellen würden. Jugoslawien müsse seinen Platz in Europa suchen und nicht selbstmörderisch Krieg gegen die ganze Welt führen. Truppen der UN, deren Mitgründer Jugoslawien sei, könnten keineswegs als eine Okkupationsmacht betrachtet werden.

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