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Durchs Nadelöhr zum Gericht

Schuldnerberatungsstellen in Hamburg überlastet, neues Insolvenzgericht muß Richter wegen Beschäftigungslosigkeit abgeben  ■ Von Elke Spanner

Von Verhaftung war in dem Brief die Rede. Begriffe wie „Zwangsvollstreckung“ und „Eidesstattliche Versicherung“ überfielen Regina B. wie Alpträume in der Nacht. 5000 Mark Schulden hatten sich angesammelt. Die Quittung dafür, die Drohung des Gläubigers und der psychische Druck, wiegt für sie schwerer als die finanzielle Belastung. Als Sozialhilfeempfängerin ist Regina B. zahlungsunfähig.

Für die rund 50.000 bis 70.000 überschuldeten Haushalte in Hamburg wurde zu Beginn des Jahres die Möglichkeit des Verbraucherkonkurses geschaffen. Dennoch steht Regina B. mit ihren Geldsorgen alleine da. Denn die Schuldnerberatungsstellen sind gnadenlos überlaufen, die Wartezeiten betragen mehrere Monate bis zu einem Jahr. Schon Mitte April hatte die Verbraucherzentrale Hamburg (VZH) dringend eine weitere Stelle eingefordert. Gestern kündigte auch das Diakonische Werk an, die Beratung ausweiten zu wollen. Allerdings müssen dafür noch Sponsoren gesucht werden. Die bisherigen Stellen werden von Jan Philipp Reemtsma finanziert.

Blieben viele derjenigen, die sich finanziell übernommen haben, bislang ein Leben lang auf ihrem Schuldenberg sitzen, haben sie mit dem neuen Verfahren die Chance, nach einer Durststrecke von sieben Jahren ohne Geldsorgen dazustehen. Doch wer das eigentliche Insolvenzverfahren beantragt, muß zuvor die außergerichtliche Beratung durchlaufen haben. Dort wird ein Regulierungsplan aufgestellt, über den sich der Verschuldete mit seinem Geldgeber einigen soll. „Bei den Gläubigern besteht die Tendenz, den Plan abzulehnen“, hat Diakonie-Beratung Peter Ogon beobachtet. „Es ist davon auszugehen, daß der außergerichtliche Vergleich in der Regel scheitert“.

Erst dann kann ein Verfahren vor Gericht eingeleitet werden. Doch da sich die Akten bei den Beratungsstellen stauen, sind noch kaum Anträge bei Gericht eingegangen, 45 erst seit Anfang des Jahres. Zwei der acht RichterInnen am neu eingerichteten Insolvenzgericht wurden bereits mangels Beschäftigung in andere Abteilungen versetzt.

Daß sämtliche SchuldnerInnen zuvor durch das enge Nadelöhr der Beratung schlüpfen müssen, treibt viele auch in die Arme unseriöser BeraterInnen, warnt die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände: „Die haben ein zugkräftiges Werbeargument: Soforthilfe“. Allerdings in der Regel für mehrere tausend Mark.

Schuldnerberatung bieten zum einen die Bezirksämter der sieben Hamburger Bezirke, daneben als freie Träger die Verbraucherzentrale und die Diakonie. Daß die überlaufen sind, begründet die Sprecherin der Justizbehörde, Annette Pflaum, vor allem damit, daß die 11 neueingestellten BeraterInnen der bezirklichen Einrichtungen wegen der Einarbeitungszeit erst nach und nach ihre Arbeit aufnehmen konnten. Diakonie-Pastor Stephan Reimers hingegen bedauert, daß für diesen „neuen epochalen Einschnitt die Begleitanstrengungen der Stadt zu gering sind“.

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