: Süppchen vom Bauern
■ Feinkost Käfer steigt dem Reichstag aufs Dach: Ein kulinarischer Versuch
Es ist wie auf einer Seeterrasse, unter der die Meeresbrandung tost. Auf Augenhöhe vermitteln zwei Dutzend Kräne den Eindruck eines geschäftigen Hafens, während das Kreischen und Klopfen der Kräne nur als Grundrauschen aus der Tiefe nach oben dringt. Die Touristen schauen über die Brüstung auf die Silhouette der Stadt, die unter dem trüben Himmel zu einer einzigen, wenn auch unruhigen Oberfläche verschwimmt.
Während sich unten alles tummelt, hat sich hier oben die Stille nach dem Sturm eingestellt. Noch am Wochenende hatten Zigtausende stundenlang in der Schlange gestanden, um einen Blick ins Innere des Reichstagsgebäudes zu erhaschen. Seit Montag sind Foyers und Sitzungssäle wieder geschlossen, auf die Kuppel fahren aber kann man immer noch – und das nahezu ohne Wartezeiten. Obendrein gibt es eine neue Attraktion: Eine Woche nach der ersten Parlamentssitzung hat der Münchner Feinkost-Imperator Michael Käfer die Volksvertretung mit einem Restaurant auf dem Dach gekrönt.
Ohne ein paar kleine Pannen ging es trotz des maßvollen Ansturms aber nicht ab. „Die Leute sind einfach reingerannt“, stöhnt die Kellnerin – und komplimentiert den Gast trotz Reservierung auf die zugige Terrasse, wo ohnehin genügend Plätze frei sind. Für den Umsatz ist der kalte Wind jedoch günstig, denn die fröstelnden Gäste geben die Tische schnell wieder frei.
Das Personal, auf dessen blauen Fliegen und Krawatten rote Käfer-Käfer krabbeln, wahrt Contenance. Für Berliner Verhältnisse erstaunlich: Weder pöbelt es die Gäste an noch lästert es in deren Gegenwart über das eigene Etablissement. Die Karte aber ist den Kellnern am ersten Tag noch fremd. Der Gast fühlt sich wie in einem Land, dessen Sprache er nicht beherrscht, muß er doch beim Bestellen mit dem Finger auf den Namen des gewünschten Gerichts deuten.
Das ist auch besser so: Sonst müßte eine schnöde Spargelsuppe mit geschmacksarmen Geflügelklößen dem Gast als „Süppchen vom Bauern“ (9,50 Mark) über die Lippen kommen. Ohnehin sind die angeedelten Halbfertiggerichte aus dem Hause Käfer, vom Chef als „Bistrokonzept“ schöngeredet, weit weniger spektakulär als der Ausblick vom Reichstagsdach. Daß aus der angeblichen Perlhuhn-,,Brust“ (29,50 Mark) ein Keulenknochen herausragt, mag ja noch angehen. Eine ausgesprochene Grille ist hingegen der gegrillte Spargel, der das Federvieh begleitet – wohl die perfideste Methode, der Deutschen edelstes Gemüse zu verhunzen. Dazu Flußkrebse und, wie ein Fremdkörper auf dem Teller abgeworfen, zwei italienische Teigtaschen mit Spinatfüllung. Statt des gewünschten Apfelstrudels (oder hieß es: Strudel vom Apfel?) bringt die Kellnerin Kuchen vom Apfel (mit Sahne 5,50 Mark) und behaupt wahrheitswidrig, ein Strudel sei in der Karte nicht verzeichnet.
Das überwiegend touristische Publikum, die Herren in Blousonjacke und Bundfaltenjeans, hält sich lieber an die Salate. Auch die Bockwürste mit Kartoffelsalat (13 Mark), die es jedoch nur tagsüber gibt, finden Absatz. Die meisten aber bescheiden sich mit einem Kaffee (sechs Mark für die große Tasse). So auch das ältere Ehepaar in bayerischer Tracht, das sich unentwegt anschweigt. Nur einmal schaut der Mann um sich und sagt: „Sind auch wieder Arbeitsplätze.“
Ralph Bollmann
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