: Noch allein im Boot
■ Ein Ex-Kommissar setzte 1962 mit einem Anschlag auf die Berliner Mauer ein „Zeichen“, jetzt will er mit sportlichem Kick Jugendlichen helfen
Innensenatoren klopften ihm auf die Schulter, Chefredakteure schrieben ihm anerkennende Worte, Sabine Christiansen dankte ihm ebenso wie die Konrad Adenauer Stiftung für sein Engagement, Eltern und Schüler schickten ihm Dankschreiben.
Der Mann, dem dieser Dank gilt, ist Achim Lazai, ehemaliger Berliner Hauptkommissar, nach 42 Jahren bei der Polizei nun seit zwei Jahren im Ruhestand und noch immer ein gefragter Experte in Sachen Jugendkriminalität und Prävention. Eines der größten Verdienste des 62jährigen ist das für lange Zeit in Deutschland einmalige Projekt „Kick“, in dem straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen, insbesondere Bagatell- und Ersttätern, durch Sport eine Perspektive geboten wird. Die Zusammenarbeit von Polizei, Landessportbund und Sozialarbeitern kann sich sehen lassen. Das Ergebnis sind jugendliche Diebe, die statt nach fremden Portemonnaies nach Basketbällen greifen und S-Bahn-Surfer, die statt Züge Rennräder besteigen.
Was lange Zeit im starren Polizeiapparat steckenzubleiben drohte, ist mittlerweile ein Vorzeigeprojekt, das es flächendeckend in Berlin und in anderen Bundesländern gibt. Lazai bekam dafür das Bundesverdienstkreuz.
Doch Orden braucht Lazai nicht. Er braucht Unterstützung. Unterstützung für ein neues Projekt, an dem er seit geraumer Zeit bastelt. Es geht um die zunehmende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit unter Heranwachsenden und Jugendlichen. Während Politiker immer wieder die Orientierungslosigkeit der Jugend beklagen und Lehrer hilflos mit den Schultern zucken, will Lazai sich nicht mit der Gewöhnung an die alltägliche Gewalt abfinden. „Es handelt sich nicht um ein unvorhersehbares Naturereignis, sondern um Gewalt, die mehr und mehr Einzug in die Gesellschaft hält“, sagt er. Menschen müßten in der Lage sein, dem etwas entgegenzusetzen.
Seine Idee: Sportler und Sportlerinnen, mit denen sich Jugendliche identifizieren, sollen Schulpatenschaften übernehmen. „Sie sind ein wesentliches Werkzeug, weil sie angehört werden“; so Lazai. Ob Hertha BSC, Alba Berlin, die Eisbären, Tennis Borussia oder einzelne Fußballer – Lazai ist überzeugt, „was die dann in den Schulen sagen, kommt an bei den Schülern“. Deshalb müsse man „einen Bezug zu diesen Idolen herstellen“. Dann fällt ihm noch der Profibox-Weltmeister Sven Ottke ein, der sich über einen Sieg nur freuen kann, wenn er weiß, daß es seinen Gegner nicht allzu hart erwischt hat.
Auch Lazai hat mal geboxt. Doch das ist lange her. Aber immerhin war er bis zum Ende seiner aktiven Boxlaufbahn 1963 einer der Besten in seiner Gewichtsklasse. Heute beginnt er jeden Tag seines Rentnerdaseins, das mit Ruhestand wenig zu tun hat, mit einem Lauf.
Lazai glaubt nicht, daß Sport ein Allheilmittel ist. Doch er ist überzeugt, daß er dem Leben junger Menschen, die keine richtigen Perspektiven sehen, einen Sinn geben kann. Er weiß das selbst nur allzugut. Er, der keine besonders rosige Kindheit in Berlin hatte, fand damals Halt und Anerkennung in einem Sportverein. „Ich hätte ebenso kriminell werden können“, sagt er rückblickend.
Deutlich will er machen, „welche immense Möglichkeit der positiven Veränderung Sportler haben“. Bestätigung für sein Projekt, das er manchmal im Eifer des Gefechts „die Sache“ nennt, findet er auf Tritt und Schritt. In den letzten Monaten hat er mehr als ein Dutzend Schulen abgeklappert, mit Lehrern, Schülern, Direktoren und Sozialarbeitern gesprochen. „Jeder bejaht die Idee“, sagt er. Doch wenn es darum gehe, diese in die Tat umzusetzen, findet er sich allein im Boot. „Man kann doch nicht einfach wegsehen“, klagt er. Aber Lazai ist dennoch überzeugt, daß er nicht allein ist mit seinem Wunsch, „sich nicht mitschuldig“ machen zu wollen. „Ich habe diese Menschen nur noch nicht getroffen.“
Lazai läßt nicht locker. Aufgeben ist nicht seine Art. Je größer der Widerstand, um so stärker seine Hartnäckigkeit. Das hat er schon in jungen Jahren unter Beweis gestellt. Als 24jähriger Polizist, der an der Berliner Mauer Streife lief, sprengte er zusammen mit zwei anderen Westberliner Polizisten einen Teil der Mauer. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, sagt er, die Welt auf die Spaltung der Stadt aufmerksam machen.
Erst dreißig Jahre später wurde publik, wer hinter dem Anschlag steckte, der von höchster politischer Ebene abgesegnet war und dessen Hintergründe bis heute nicht restlos aufgeklärt sind. Weil Geheimhaltung angeordnet war, wurde Lazai für einige Jahre nach Osnabrück versetzt. Bis heute hat er die Ereignisse nicht verarbeitet. Doch er würde wieder so handeln. Das steht fest.
Nur, jetzt ist es Lazai, der auf ein Zeichen wartet. Von Sportlern, Vereinen, Schulen und Politikern, die seine Idee umsetzen. Nicht immer ist Dynamit nötig, um Mauern zu sprengen. B. Bollwahn de Paez Casanova
„Es ist kein unvorhersehbares Naturereignis, sondern Gewalt, die Einzug in die Gesellschaft hält“
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