piwik no script img

Wichtige Zeitzeugen

■  Die Postmoderne, praktisch gesehen. Das „hope and glory“-Theaterfestival in Zürich zeigte ganz entspannte, weibliche Ansätze

Deutsche, die in der Schweiz wortgewaltig und selbstbewußt auftreten, werden von Schweizern entweder mürrisch gemieden oder für ihre Schauspielkunst bewundert. Rein ästhetisch ist der Deutsche tatsächlich interessant, auch ein bißchen bemitleidenswert (hält das sein Herz aus?), wofür wir ihm in vielen Theatern ein kuscheliges Asyl gewähren und ihm in Kritiken nicht selten ein „großartig“ gönnen. Der gezähmte Deutsche bedankt sich dann später und erfindet zu Hause die neue Mitte.

Der abgeneigten Leserin wird die maskuline Form aufgefallen sein. Hier ist sie tatsächlich ausschließend. Im Theater der letzten Jahre repräsentierten fast nur Männer die gefeierten ästhetischen Innovationen: Ob Frank Castorf und die Seinen mit Theater zwischen Rock und Theorie oder die von Thomas Ostermeier neu ausgemachte Lust auf Texte und Geschichten – immer sind es Männer, die irgendeine Schule ausrufen. Selbst das Leisetreten eines Elmar Goerden in Stuttgart oder die Fiebrigkeit eines Andreas Kriegenburg in Hannover drängen in die Positionierung.

In Zürich sah man dieser Tage Alternativen – vorwiegend weibliche. Zum zweiten Mal fand „hope and glory“ statt, das Festival junger Talente. Das Theater am Neumarkt und das Theaterhaus Gessnerallee zeigten während zehn Tagen vier Produktionen, zehn Leseabende und verbuchte 2.000 Zuschauer. Beträchtlich, bedenkt man, daß die Lesungen vor maximal 50 Leuten stattfinden konnten und eine Inszenierung in einem 35-Personen-Raum spielte.

Das Festival, das dieses Jahr mit dem Podewil Berlin koproduzierte, wird auch nicht nur in den Zeitungen besprochen, sondern ebenso an nicht öffentlichen Rundtischgesprächen in Konfrontation mit den Produzenten. Eine öffentliche Abschlußdiskussion zum Thema „next generation: was ist neu?“ artete im Nu in eine hitzige (praktisch bundesdeutsche) Strukturdebatte aus: Stadttheater hier, freie Szene da. Es war 70er. Was aber sind die Endneunziger?

Bevor Einzelbetrachtungen euphorische Tendenzthesen zu differenzieren vermögen, sei zunächst angetan festgestellt: Die jungen Frauen, die hier Arbeiten gezeigt haben, pflegen fast alle einen lokkeren, beruhigten, ja einen endlich produktiven Umgang mit postmodernen Verfahren. Die Geste des Einreißens von Schranken – zwischen Pop und Bildung, Trash und Cash, Avantgarde und Mainstream – genügt selten nur noch sich selbst. Die Mauern sind gefallen, der Schutt weggeräumt, man oder eben frau kann jetzt mit dieser neuen Freiheit entspannt arbeiten. Die Postmoderne verschwindet zwar theoretisch, gewinnt dadurch aber an praktischer Präsenz.

Zwar wurden auf den ersten Blick recht gängige junge Theatertopoi bemüht wie die Spielshow (She She Pop), die Sichtbarmachung der Herstellung von Identität und Biografie (Danckwart/Al Khalisi, Peters/Scheuritzel/Roller, alle Berlin), und auch die Selbstbeobachtung war da – allerdings nie als oberseminaristische Ausführung. Wenn der Konnex zum Weiblichen gewagt werden soll, dann da, wo das Programmatische fehlt, wo verkrampfte Entwürfe in leichtes, aber genaues Spiel übersetzt werden und Fragen nicht nur rhetorisch gestellt werden.

Voller Frechheit, die Dinge beim Namen zu nennen, ist der flirrendste Text des Festivals in Zürich: „Girlsnightout“ von Gesine Danckwart, die in Berlin im Theaterdock arbeitet (Regie: Danckwart, Remsi al Khalisi). Auf dem Weg vom Wir zum Du entstehen durch die Wiederholung von Aphoristischem ganz neue Situationen, völlig unspektakulär und reduziert. Und in wenigen Sätzen wird dabei auch manches junge Theaterprojekt zutreffend beschrieben: „Dies ist genau die Zeit, in der ich leben möchte, aber mir wird immer klarer, daß ich eigentlich ein Kind der Achtziger bin. Ich bin manchmal überrascht, daß ich schon eine ganz eigene Vergangenheit habe. Ich bin ein wichtiger Zeitzeuge, und ihr dürft mich jetzt etwas fragen.“

Wenn alles geht, geht auch das Alte. Auch das spricht für postmoderne Coolness. „God exists“ in englischer Sprache der Schweizer Filmerin Sabine Harbeke aus New York („June“) muß als überaus heutig eingestuft werden, trotz nostalgischer Form. Es gab exzellentes, bescheidenes Method-Acting, ein Stück wie ein Einakter aus dem Amerika der 50er Jahre und drei riesige Videoprojektionen von Puppeneinrichtungen als Wohnzimmer. Manche haben die Medienreflexion vermißt, andere sahen platte Figuren. Aber es war moderner Strindberg, der gender trouble schlich im Personendreieck zwar leise umher, aber alle haben ihn gefühlt.

Viel 80er dann in der vom Podewil koproduzierten Arbeit „Es ist nicht, wie du denkst“. Caroline Peters und Bettina Scheuritzel (zur Zeit Schaubühne Berlin) sowie der Choreograph und Tänzer Jochen Roller segeln mit ihren Fragmenten aus Lorrie Moores amerikanischem postmodernem Roman „Anagrams“ (1986) haarscharf an einer Art historischem Diskurstheater vorbei. Drei Namen wachsen in einem Erinnerungsprozeß zu einem erzählenden Subjekt. Das geschieht anhand von museal angeordneten Gegenständen, mit viel Musik, mit amerikanischem Filmschrott. Aber das Anagramm, die Umordnung von Buchstaben (der Remix der 80er) also, sieht zu ähnlich aus: Aus Pop zum Beispiel läßt sich wieder poP herstellen, und man kann behaupten, zwei Lettern vertauscht zu haben.

Unverkrampfteres bot „She She Pop: Live!“ zum Schluß. Die fünf Frauen aus dem Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften bleiben immer schön schnackig und schaffen es trotzdem, mit ihrem Mitmach- und Authentizitätstheater Reaktionen auszulösen. Das Publikum taxiert per Kartenhochhebung den Wettbewerb um Aussehen, Schlagfertigkeit und künstlerischen Ausdruck. Jeder Abend sieht auf diese Weise anders aus. Man kommt nicht umhin, Glaubensentscheide zu fällen und Sympathie oder Ablehnung zu entwickeln. Man spielt mit, ob man will oder nicht. Konsequent, extrem witzig. Der Schweizer sagt in solchen Fällen „großartig“. Tobi Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen