: Krieg verschiebt die Fronten in Berlin
■ Kriegsdebatte im Preußischen Landtag: Bündnisgrüne Ida Schillen greift die rot-grüne Bundesregierung an. Diepgen verteidigt das Kabinett Schröder. Und Landowsky (CDU) verspricht Rot-Grün patriotische Soldiarität
Die Bündnisgrüne Ida Schillen beschimpft die rot-grüne Bundesregierung als Kriegskabinett, die PDS klatscht Beifall, der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen von der CDU greift Schillen dafür erregt an, und die grüne Fraktion applaudiert. Und dann fordert der Regierende Bürgermeister auch noch „die Freilassung der politischen Gefangenen“. Unwissend, damit eine linksradikale Demonstrations-Parole im Preußischen Landtag zu wiederholen. Der Krieg im Kosovo wirft die politischen Koordinaten über den Haufen – auch in Berlin.
Zum ersten Mal seit Beginn des Krieges haben die Berliner Parteien gestern im Abgeordnetenhaus über den Krieg debattiert. Der Riß, der an dieser Frage durch die grüne Partei insgesamt geht, war dabei einmal mehr unübersehbar. Ebenso wie die seltsam anmutende Einmütigkeit von CDU und SPD und die absolute Anti-Kriegs-Außenseiterrolle der PDS.
Nach einer Rede Diepgens, in der dieser die europäische Solidarität bei der Aufnahme der Flüchtlinge eingeklagt hatte, ergriff gestern Ida Schillen das Wort. Die Parteilinke und Kriegsgegnerin warf dem Regierenden Bürgermeister vor, in Untertönen gegen die Flüchtlinge und ihre Aufnahme in Berlin votiert zu haben. „Dagegen verwahre ich mich in aller Form“, sagte sie und bezeichnete die Bonner Regierung als zu einem „Kriegskabinett“ mutiert.
Augenverdrehen auf der Bank der grünen Fraktionschefin Michaele Schreyer, Kopfschütteln, am Ende Tumulte in den eigenen Reihen waren die Folge. Und ein Regierender Bürgermeister, der erregt ans Redepult schritt. „Ich habe das Gegenteil dessen gesagt, was Sie hier behaupten“, betonte Diepgen. „Es ist unerträglich, daß ein Mitglied einer Regierungspartei das Kabinett als Kriegskabinett bezeichnet. Sie sollten sich was schämen.“ Große Teile der Grünen nahmen die Worte des Regierenden dankbar auf und schenkten bisher selten erlebten Applaus.
In der vorausgegangenen Debatte hatten Redner von SPD, CDU und Grünen den Krieg gegen Rest-Jugoslawien als notwendiges Übel zum Stopp der ethnischen Vertreibungen im Kosovo unterstützt. Einzig der Vorsitzende der PDS-Fraktion, Harald Wolf, der sich dafür scharfe Angriffe einhandelte, plädierte für die Beendigung der Bombardements. Kritik an den „Die Waffen nieder“-Buttons, die er und seine FraktionskollegInnen trugen, wies er zurück. Zwar garantiere ein „Die Waffen nieder“ wahrlich keinen Erfolg zur Beendigung der ethnischen Vertreibungen im Kosovo, „aber die bisherigen Mittel haben auch nichts genützt“. Heuchlerisch nannte CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky den Auftritt von Wolf. Man habe diesen Krieg doch „der letzten auf europäischem Boden existierenden kommunistischen Diktatur“ zu verdanken. Den SozialdemokratInnen wie explizit auch den Bündnisgrünen versprach er dafür „patriotische Solidarität“. Mit den Stimmen von CDU und SPD verabschiedete das Parlament noch eine Entschließung, in der die Politik der Bundesregierung unterstützt und auf eine politische Lösung gedrängt wird. Die Grünen enthielten sich der Stimme. Barbara Junge
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