piwik no script img

Mit dem Bügeleisen übers Kopfsteinpflaster

Taugt das Liegerad auch für den Stadtverkehr? Am ehesten noch, wenn man halb hoch und gefedert sitzt. Doch dann heißt das Fahrzeug vielleicht nicht mehr Liege-, sondern womöglich Sesselrad. Bekenntnis eines Bekehrten  ■   Von Wolfgang A. Leidigkeit

Keine Frage, das Liegefahrrad ist eine Herausforderung. Es spaltet die Menschheit. Herausgefordert fühlte sich anscheinend auch ein Journalist der Süddeutschen Zeitung, der das Liegerad an sich vor einiger Zeit als das „tiefergelegte Statussymbol des Hardcore- Müsli“ bezeichnete. „Fahrradfahren auf Wolken“ war an anderer Stelle zu lesen. Die Positionen könnten unterschiedlicher nicht sein.

Langlieger, Kurzlieger, Rennlieger, Trikes, Obenlenker, Untenlenker. Nur wenige dieser exotisch anmutenden Gebilde taugen uneingeschränkt für den Stadtverkehr. Es sei denn, das Hauptanliegen ist es, Aufmerksamkeit zu erregen. Im Dschungel der Großstadt fällt ein Liegerad stärker auf als ein Porsche. Verständlich – ist es doch nach landläufiger Meinung eher ein Long-Distance-Bike, gemacht für die endlosen Pisten abseits des Autoverkehrs und nicht für die City.

In der Tat: Wer von Tagesetappen von 200 Kilometern und mehr bislang nur träumte, könnte diese Distanzen mit einem Lieger ohne größere Mühen schaffen. Mit dem netten Nebeneffekt, daß am Ende einer Tour weder Sitzfleisch noch Hände schmerzen. Denn die erste und wichtigste Grundwahrheit lautet: Liegefahrräder sind ungemein bequem! Von der Leichtigkeit des Seins zur Leichtigkeit des Radelns ist für Liegeradfahrer nur ein kleiner Schritt. Ungemach droht ihnen jedoch im Stadtverkehr: Die Gefahr, auf dem flachen Velo von anderen Verkehrsteilnehmern übersehen zu werden, ist erheblich. Bordsteinkanten stellen in der Regel unüberwindbare Hindernisse dar, und auf Kopfsteinpflaster fühlt man sich auf einem ungefederten Bike wie auf einem Rüttelsieb.

Doch neuerdings werden den Liegeradfans Alternativen angeboten: Liegeräder, die eigentlich gar keine mehr sind, allenfalls einen Kompromiß darstellen und eher in die Abteilung Sesselfahrrad gehören. Da es die aber offiziell nicht gibt, heißen sie City- Komfortrad, Bevo-Bike oder Flux V 200 – und so manches dieser Modelle ist schon für etwas mehr als 2.000 Mark zu haben! Ein Preis, der echte Liegeradfahrer aufhorchen läßt, schließlich haben die meisten unter ihnen für ihre wundervollen Gefährte 3.000 Mark und mehr ausgegeben – die Grenzen nach oben sind offen.

Über Geschmack kann man ja bekanntlich nicht streiten, aber City-Komforträder sind häßlich! Ein gestandener Liegeradfahrer wie ich schaut bei solch einem Velo weg und nicht hin. Darum war ich rechtschaffen empört, als das „häßliches Entlein“ Flux V 200 vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) zum „Fahrrad des Jahres 1999“ gekürt wurde. Zu allem Überfluß hatte „der beste Fahrradhändler von allen“ (also meiner) das Ding auch noch fett in seinem Schaufenster plaziert. „Von wegen Liegefahrrad, mit dem kann doch jeder Doofe fahren“, so meine erste Reaktion. Denn merke: Wir Liegeradfahrer halten uns für Künstler, für Artisten in der Zunft der Velozipisten. Dabei ist eigentlich alles ganz simpel. Man darf nur nicht vor lauter Respekt vergessen, beherzt in die Pedale zu treten. Hat man das begriffen, fällt man garantiert nicht mehr um. Aber das muß man den vielen Bewunderern ja nicht auf die Nase binden. „Nun setz dich erst mal drauf und fahr eine Runde“, versuchte mich mein Fahrradhändler zu besänftigen. „Ich auf so einem Teil? Ich bin Liegeradfahrer und kein Testpilot für häßliche Enten.“ Nach einer etwas heftigeren Debatte war ich runter von meinem hohen Roß und stieg rauf aufs halbhohe Velo.

Die ersten Fahreindrücke auf dem sehr bequemen Fahrrad waren ohne Fehl und Tadel. Kopfsteinpflasterpassagen, die mein Edellieger (ich fahre eines dieser 5.000-Mark-Produkte) nur mit Bocken nimmt, glättete das Flux ohne zu murren weg wie Omas Bügeleisen das Faltenröckchen. Im Unterschied zum klassischen Lieger gewann ich durch die hohe Sitzposition deutlich an Übersicht.

Bei einem anschließenden direkten Vergleich zwischen meinem Liegerad und dem City-Komfortrad kam ich zu erstaunlichen Erkenntnissen. Als Teststrecke diente ein Parcours mit Kopfsteinpflaster, Straßenbahnschienen, Asphaltstraßen und einem befestigten Weg entlang eines Stadtsees. Anfangs spielte das Flux seine Stärken als City-Bike voll aus. Vollfederung, große Übersicht und die Möglichkeit, Gepäcktaschen für den Einkauf problemlos befestigen zu können, stehen auf der Habenseite. Allerdings: Das relativ hohe Gewicht läßt es für längere Strecken weniger geeignet erscheinen. Schon auf der geraden Strecke am See entlang war mein Lieger dem Flux deutlich an Geschwindigkeit und Leichtigkeit beim Fahrverhalten überlegen.

Geschwindigkeit spielt innerhalb der Stadt jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Nur wer jederzeit mit der Unachtsamkeit anderer rechnet und entsprechend passiv fährt, überlebt als Fahrradfahrer eine Stadt auf Dauer ohne Blessuren. Die hohen Geschwindigkeiten, mit einem Liegefahrrad relativ leicht erreichbar, sind im Verkehrsgewühl folglich kaum ausreizbar. Das ist bei Fahrten übers Land, bei Wochenendausflügen oder bei Urlaubsreisen anders. Hier ist ein leichtes, auf Sportlichkeit ausgelegtes Liegerad in seinem Element. In der Stadt sind eine möglichst aufrechte Sitzposition, ein Spiegel und eine Kinderfahne (ein kaum zu übersehendes Signal für Autofahrer) von großer Bedeutung. Ein stabiler Ständer – beim Flux serienmäßig, an vielen Liegerädern das Unikat erfindungsreicher Schlosser – ist hilfreich. Auch wenn bei einem Liegefahrrad und beim City-Komfortrad die Bremswege deutlich kürzer als bei herkömmlichen Velos sind und man beim Crash nicht so tief fällt, sollten kräftige Bremsen zur Serienausstattung gehören. Nicht nur schick, sondern aerodynamisch deutlich von Vorteil ist eine Verkleidung, die für das Flux leider nicht angeboten wird. Benutzt man das Velo jedoch überwiegend in der Stadt, sind die Vorteile einer Verkleidung zu vernachlässigen.

Fazit: Ich liebe die Leichtigkeit meines Edelliegers. Für Fahrten in der Stadt könnte ich mich jedoch mit einem der neuen City-Komforträder anfreunden, obwohl sie eher fahrbaren Sesseln und nicht mehr einem „tiefergelegten Statussymbol“ ähneln. Schade nur, daß mein Keller so klein ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen