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Der Mann ohne Wahl

Für Ralf Rangnick geht es nicht nur darum, daß der VfB Stuttgart nicht absteigt – es geht darum, ob er jetzt noch sein Know-how in der Liga etablieren kann  ■   Von Nina Klöckner

Stuttgart (taz) – Die Zeremonie ist inzwischen jedem vertraut. Und deshalb funktioniert sie immer gleich. Da kommt er. Der Neue. Wattiert in eine Horde Fotografen. Und mit ihm kommt die Hoffnung. Der VfB Stuttgart hat zum dritten Mal in einer Saison den Trainer gewechselt. Und inzwischen läuft so etwas bei den Schwaben so routiniert ab, wie wenn jemand beim ersten Sonnenstrahl die Winterreifen gegen Sommerreifen eintauscht.

Eigentlich wollte Ralf Rangnick (40) seinen Dienst erst am 28. Juni antreten. Aber weil der VfB nur noch vier Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt war, mußte er schon früher ran. Und alle haben zum vierten Mal gehofft, daß mit ihm endlich alles gut wird. Selbst gegen die übermächtigen Bayern. Die VfB-Anhänger haben Rangnick freundlich begrüßt, wie die anderen vor ihm auch. Ihre Ansprüche haben sie schon länger begraben. „Die Saison ist versaut, der Abstieg droht – also siegt für uns und für das Schwabenland“, haben sie auf ihre Plakate geschrieben. Es geht nicht mehr um den Uefa-Cup. Es geht gegen den Abstieg. Ein Tag blieb Rangnick, um den Spielern einzutrichtern, worum es ihm geht. Um Teamgeist und Zusammenhalt. Eigenschaften, die beim VfB nicht erst seit dieser Saison vermißt werden. Daß ein Tag kaum ausreicht, um das zu ändern, ist auch Rangnick klar. Deshalb war er schon vor der 0:2-Niederlage gegen die Bayern nicht besonders glücklich über seinen verfrühten Dienstantritt.

Es ist bisher alles so gekommen, wie die Skeptiker schon immer sagten, daß es kommen müsse. Dem in der Winterpause unterschriebenen Vertrag beim VfB folgte eine Niederlagenserie mit seinem Arbeitgeber, dem dank Rangnick-Fußball furios durchgestarteten Zweitliganeuling SSV Ulm. Worauf Rangnick zurücktrat, um in aller Ruhe die neue Aufgabe in Stuttgart vorzubreiten. Eigentlich. Aber „es blieb mir keine andere Wahl“, sagte er. Ob der vorgezogene Amtsantritt auch ein Fehler war, wird er erst in ein paar Wochen wissen. Ein paar andere Fehler hat er aber schon vorher gemacht. Den ersten Ende des vergangenen Jahres. Als er im „Aktuellen Sport-Studio“ an der Magnetwand der Nation seine Vorstellung von modernem Fußball erklärte. So etwas kommt nicht gut an in einer Szene, wo man immer noch glaubt, „der Rasen“ müsse „brennen“ (W. Schäfer). Und der Rest komme von allein. Seitdem gilt Rangnick jedenfalls als der Intellektuelle des Fußballs, was nicht unbedingt ein Kompliment ist. Die konservativen Kräfte warten ja nur darauf, ihm Sätze um die Ohren zu hauen wie jenen von den 16 Mittelstrecklern, denen er in vier Wochen die Viererkette beibringe. Und dann hat er sich kürzlich auch noch zu einer gefährlichen Aussage über Stuttgarts Zukunft hinreißen lassen: „Ich verspreche den Fans jeden Samstag ein Happening im Stadion.“

Zum Glück war das Spiel gegen die Bayern an einem Dienstag. So kann man Rangnick eigentlich keinen Vorwurf machen. Aber er weiß trotzdem, daß es bereits nach seiner ersten Niederlage „jetzt besonders schlimm wird“. Das weiß auch sein Präsident. „Was der Trainer geschafft hat, ist, daß Einsatzbereitschaft, Wille und Herz gestimmt haben“, sagte Gerhard Mayer-Vorfelder. Aber „man kann ja nicht durch Handauflegen alles verändern“. Und vor allem nicht verhindern. Zum Beispiel, daß der Torwart Franz Wohlfahrt seine fünfte gelbe Karte bekam, obwohl er gar nicht gespielt hat. Oder daß der Kapitän Frank Verlaat die rote Karte kassierte, weil er dem Linienrichter angeblich „Du blinde Sau“ zugerufen hat.

Das ist aber passiert. Obwohl sich alle so viel vorgenommen hatten. „Das ist ein Stück weit Frust, der sich in solchen Situationen einstellt“, sagt Rangnick. Das mag sein, hilft aber auch nicht weiter. Jetzt weiß Rangnick schon an seinem zweiten Arbeitstag nicht, wie er „gegen Rostock die Abwehr aufstellen soll“. Verlaat wird wohl bis zum Ende der Saison nur noch zuschauen dürfen. Berthold, Thiam und Keller sind verletzt.Deshalb überlegt sich der Trainer, ob er beim DFB einen Antrag stellen soll, daß er mehr als fünf Amateure mitnehmen darf. Ausgerechnet für das Spiel in Rostock. In dem es morgen schon um sehr viel geht. Darum, ob der VfB tatsächlich noch absteigen kann. Aber vor allem darum, ob man das Konzept, das den Stuttgartern in den vergangenen Monaten soviel Hoffnung auf die Zukunft machte und das so eng mit dem Namen Rangnick verknüpft ist, schon vor der neuen Saison wieder in die Tonne hauen muß. Rangnick will darüber jetzt nicht nachdenken. „Wir werden es schon schaffen“, sagt er, aber er ist nicht mehr so überzeugt wie damals, im „Sport-Studio“ an der Magnettafel.

Und ein paar andere sind es offenbar auch nicht mehr. Ottmar Hitzfeld, Trainer der Bayern, steht im Kabinengang und gibt geduldig Antworten. Als ihn ein Fernsehreporter über den VfB Stuttgart befragt, gehen plötzlich die Lichter aus. „Das wird doch nicht symbolisch sein für den VfB“, sagt er.

VfB Stuttgart: Ziegler - Kies, Soldo, Verlaat, Carnell - Rost, Endreß (13. Oswald), Lisztes (74. Frommer), Zeyer - Bobic, Akpoborie (65. Blessin) FC Bayern München: Dreher - Matthäus (70. Jeremies) - Linke, Kuffour - Babbel, Fink, Effenberg, Scholl (77. Jancker), Salihamidzic - Basler, Daei (65. Zickler) Zuschauer: 52.000 Tore: 0:1 Scholl (62.), 0:2 Jancker (82.) ; rote Karte: Verlaat (83.) wg. Linienrichter-Beleidigung

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