Unternehmen Krieg

Wie Nachrichtenmacher die Routine Krieg bewältigen: Ein Besuch in der Hamburger Zentrale von ARD-Aktuell, wo jeden Tag „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ entstehen   ■  Von Severin Weiland

16.12 Uhr. Links hat Pastor Fliege gerade einen Gast in der Seelenmassage. Rechts oben zieht beim ZDF ein Tiefdruck über Westdeutschland. Und rechts unten verliest im serbischen Staatssender RTS eine junge Moderatorin Nachrichten. Plötzlich zuckelt es auf demBildschirm, dann legt sich nach ein paar Sekunden ein Grauton über die Scheibe. Christian Zimmermann, Planungschef Inland bei den „Tagesthemen, schaut kurz auf. „Jetzt bomben sie wohl wieder. Hat sich so eingependelt in den letzten Tagen.“

In seiner siebten Woche ist der Krieg bei „ARD-Aktuell“, der Hamburger Zentrale von „Tagesthemen“, „Tagesschau“ und „Nachtmagazin“ fast schon zur Routine geworden. „Man muß jetzt stärker aussortieren“, sagt Steffen Gorr, Planer für das „Nachtmagazin“. Wer will schon jeden Tag die Bilder sehen, die auch andere Sender zum Überdruß bieten: Nächtliche Blitze und Einschläge über Belgrad, Flüchtlinge in Makedonien und Albanien.

Bernhard Wabnitz, Jahrgang 1952, ist seit Januar Chefredakteur von ARD-Aktuell. „Jede Seite hat in diesem Krieg Interessen“, sagt er und nennt als Beispiel den Angriff auf die Parteizentrale in Belgrad. „Da sehen Sie ein brenndendes Hochhaus aus der Ferne. Das sieht nicht schlimm aus. So was kommt sowohl der Nato als auch Miloevic entgegen.“ Wer mehr zeigen will, wandelt auf dem schmalen Grad zwischen Information und Propaganda. Kürzlich zeigten die „Tagesthemen“ Bilder eines serbischen Privatsenders über Zerstörungen von Wohnhäusern nach Luftangriffen. Ulrich Wickert moderierte den Beitrag an, wies darauf hin, daß auch diese Bilder möglicherweise einen propagandistischen Zweck erfüllen könnten. Den distanzierten Ton nennt Wabnitz „überlebenswichtig“. Nur durch Offenlegung der Quellen könne man „glaubwürdig bleiben“. Haben die „Tagesthemen“ seit dem Golfkrieg dazugelernt? Ja, glaubt Wabnitz: „Damals ist die Bildeuphorie größer gewesen.“ Die Computeraufnahmen von angeblich zielgenauen Angriffen versuche man „weitgehend“ zu vermeiden. Der „Grundgedanke an einen sauberen Luftkrieg, der ist bei uns von Anbeginn auf Skepsis gestoßen.“

Das Problem der Sendung ist das Problem aller TV-Sender: Kriege ziehen dubiose Bilderlieferanten an. So wurde den „Tagesthemen“ über französische Quellen Bilder aus einem Ausbildungscamp der UÇK angeboten. Vier Minuten für 60.000 Mark, zu zahlen ohne vorherige Sichtung. Nach Verhandlungen konnte man das Material doch ansehen. Die Redaktion verzichtete.

Es scheint ein zäher Tag zu werden. Um 11.30 Uhr kommen acht Verantwortliche von „Tagesthemen“, „Tagesschau“ und „Nachtmagazin“ im schlichten Konferenzraum zusammen. Wabnitz referiert die Quote vom Vorabend. 2,2 Millionen Zuschauer für die „Tagesthemen“. Das ist ordentlich. Zuvor lief „Sissi: Die Perlingershow“. Die Klamauksendung ist Gift für die „Tagesthemen“ – sie animiert den Zuschauer zum Zappen. Immerhin, tröstet Wabnitz, „haben wir eine Million im Laufe der Sendung wieder rübergeholt“. Und das, obwohl durch eine Kosovo-Sondersendung der Beginn der „Tagesthemen“ auf 22.45 Uhr verlegt wurde.

Dann wird die Sendung vom Vorabend besprochen. Gabi Bauer, in dieser Woche „Tagesthemen“-Moderatorin, wird gelobt. Die Themen für den Tag werden skizziert. Es geht Schlag auf Schlag. Vor allem Berichte vom Balkan sind gefragt. Doch da sieht es heute vergleichsweise ruhig aus. Ein Bericht über die UÇK, einer über die Wirtschaftslage in Makedonien ist vorgesehen, eventuell das Nato-Briefing in Brüssel. Wabnitz wird ein wenig ungeduldig. „Wo ist eigentlich dieses GTZ-Stück geblieben?“

Konferenzen sind das Gerüst der aktuellen Produktion. Vier weitere wird es noch geben, bis um 22.30 Uhr, diesmal pünktlich, Gabi Bauer in die Kameras blicken wird. Bis dahin herrscht die Routine des Redaktionsalltags. Wie soll die Sendung mit dem Besuch Bill Clintons bei den US-Fliegern in Deutschland umgehen, wird diskutiert. Schließlich haben die Amerikaner alle deutschen Journalisten hinter die Absperrungen verbannt. „Wir sind viel zu weit weg“, sagt Zimmermann. Um 22.40 Uhr werden die Zuschauer deutsche Kameramänner sehen, die die Restriktionen der Amerikaner beklagen.

Das Herz der Kriegsproduktion liegt in diesen Wochen im Ausland. Südosteuropa wird vom Bayerischen Rundfunk betreut. Der „Tagesthemen“-Auslandsverantwortliche Knut Schaflinger hat den Korrespondenten aus Montenegro am Telefon, stellt den Lautsprecher an. Aus Podgorica berichtet Bernhard Staudinger von den Schwierigkeiten, vor Ort zu filmen. Interviews auf der Straße seien wegen der Sicherheitskräfte kaum möglich, die Stimmung sei „aufgeheizt“.

Klaus Below hat aus Belgrad in den letzten Tagen nur telefonisch berichten können. Das ist tödlich für ein Medium, das von den Bildern lebt. Die Luftangriffe der Nato auf die Sendezentralen haben die Übertragungsmöglichkeiten erschwert. Zudem müssen die Berichte der jugoslawischen Armee vorgelegt werden. Man habe sich auch schon mal zu „grotesken Geschichten“ verpflichten müssen, damit Below im Lande bleiben könne, erzählt Helga Kipp-Thomas. Geschichten von der Rennbahn, aus dem Zoo. „Heile Welt“, sagt Kipp-Thomas: Mit den richtigen Texten, glaubt die Redakteurin, könne man die Propagandabilder dennoch einordnen.

Der Krieg ist in diesen Wochen für die Medien ein Konjunkturmotor, und die Quoten spielen jeden Tag eine Rolle. Um Viertel nach vier auf der Programmkonferenz muntert Wabnitz seine Kollegen auf. „Tagessschau“, plus 2 Prozent im April, liegt jetzt bei 37,1 Prozent, bei den „Tagesthemen“ sei „ein leichter Trend nach oben“ feststellbar: 14 Prozent im April gegenüber rund 12 im März. Auch das „Nachtmagazin“ sei mit rund 13 Prozent „erfreulich“.

Doch die Redakteure geben sich so, als sei die Quote nur Beiwerk. Auch Gabi Bauer sagt später in ihrem Büro, die Zahlen seien ihr in diesen Kriegszeiten „eigentlich scheißegal. Ich finde es fast zynisch, sich darüber zu freuen.“ Und doch schwingt die Quote mit. Durch die fast täglichen Sondersendungen rücken die „Tagesthemen“ nach hinten. „Ich wundere mich manchmal, daß wir bei den Verschiebungen noch auf so gute Einschaltzahlen kommen“, freut sich Wabnitz.

Man erzählt von höchster Aufmerksamkeit: Als in der ersten Bombennacht in der Sendung darüber berichtet wurde, daß ein deutscher Tornado noch nicht zurückgekommen war, fluchte Rudolf Scharping. Auf der Pressekonferenz am folgenden Tag appellierte der Verteidigungsminister an die Verantwortlichkeit der Medien. Kaum waren die Mikrofone aus, berichtet ein Redakteur, habe Scharping explizit die „Tagesthemen“ kritisiert.

Ein wenig wurmt die Macher von ARD-Aktuell, daß sie den Beginn des Krieges an das ZDF verloren. Die Konkurrenten hatten kurz vor 20 Uhr den Angriff gemeldet. Weil, wie Wabnitz erzählt, die ZDF-Korrespondentin in der Nato-Zentrale in Brüssel geblieben war, während die ARD-Kollegen aus Belgien auf dem Berliner EU-Gipfel weilten. Die „Tagesschau“ brachte die Meldung erst an zweiter Stelle.

Für die Quote braucht es jeden Tag ein Ereignis, das dem berichteten Kriegsverlauf eine neue Richtung gibt. „Das wird ganz unerfreulich heute“, fürchtet Zimmermann. Um kurz nach 18 Uhr gibt es einen Lichtblick. Der Vertreter der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, durfte nach Rom ausreisen. Um 19.20 Uhr beschließt man, sich um ein Interview mit ihm zu bemühen. Kurz darauf sitzt Gabi Bauer geschminkt im Studio und zupft sich die Haare zurecht. Nur Rugova ist unter seiner Handynummer nicht zu erreichen. Gabi Bauer kehrt in ihr Zimmer zurück, feilt an den Texten ihrer Moderation.

Um 21.45 Uhr läuft auch in den Räumen von ARD-Aktuell das ZDF-„Heute-Journal“. Wolf von Lojewski interviewt die Sprecherin der Liga für ein demokratisches Kosovo in Deutschland. Sie hangelt sich mit diplomatischen Floskeln durch. Die „Tagesthemen“-Planer blicken auf die Monitore. „Wollen wir die?“ fragt Schaflinger. Lautlos wird die Maschinerie in Gang gesetzt. Nur Chefredakteur Wabnitz sorgt noch einmal für Unruhe. Er hat zu Hause die Konkurrenzsendung gesehen und regt an, den italienischen Botschafter in Bonn zu interviewen. Doch der ist nicht aufzutreiben, es bleibt doch bei der kosovo-albanischen Funktionärin.

Nach der Sendung treffen sich acht Redakteure im Erdgeschoß zur Kurzkritik. Gabi Bauer ist unzufrieden mit dem Live-Interview. Die Gesprächspartnerin sei im „Heute-Journal“ besser gewesen. Schaflinger spendet Trost. Man schont sich. Heute abend wenigstens. Schließlich ist der taz-Reporter zugegen. Am besten, finden alle, war dann doch der bunte Bericht aus Washington. Über die verrückten Fans, die der Premiere des neuesten Kassenknüllers entgegenfiebern. Der heißt, rein zufällig, „Star Wars“.