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Sprachpfleger auf verlorenem Posten

Seit gestern liegen in 91 Amtsstuben Unterschriftenlisten gegen die Schreibreform aus – das erste Volksbegehren in Berlin. Mit einem Quorum von 243.000 Unterschriften ist die Hürde für eine Rückkehr zur „allgemein anerkannten traditionellen Rechtschreibung“ hoch  ■   Von Ralph Bollmann

So weit hat es das Volk in Berlin noch nie gebracht: Seit gestern dürfen sich alle Wahlberechtigten auf allen 23 Bezirksämtern und auf 68 weiteren Behörden in Unterschriftenlisten eintragen, um gegen die Rechtschreibreform zu protestieren. Anders als die Sprachpfleger hatten frühere Initiativen dieses eigentliche Volksbegehren, die zweite Stufe des komplizierten Verfahrens, gar nicht erst erreicht. Sie hatten entweder die in der ersten Stufen nötigen 25.000 Unterschriften nicht erreicht, oder sie verfolgten ein Anliegen, das in der Verfassung nicht vorgesehen ist.

Die Reformgegner haben beide Hürden genommen. 35.600 Unterschriften haben sie für ihr Vorhaben gesammelt, einen neuen Paragraphen ins Berliner Schulgesetz einzufügen: „Aufgabe der Schule ist es, die in der Sprachgemeinschaft gewachsene und von der Bevölkerung allgemein anerkannte traditionelle Rechtschreibung nachzuvollziehen und die Schüler in dieser zu unterrichten.“ Matthias Dräger, Initiator der bundesweiten Kampagne „Wir gegen die Rechtschreibreform“, hofft darauf, mit dem Berliner Volksbegehren die Reform insgesamt zu Fall zu bringen. Eigentlich hatte er gehofft, schon mit dem Abstimmungserfolg in Schleswig-Holstein eine bundesweite Rückkehr zu den alten Regeln zu erzwingen. Weitere Plebiszite gegen die Reform könnten die Kultusminister aber nicht mehr ignorieren, glaubt Dräger: „Dann ist die Reform irgendwann im Eimer.“

Die Chancen dafür stehen allerdings schlecht. 243.000 Berliner, ein Zehntel aller Wahlberechtigten, müßten sich bis zum 9. Juli aus eigenem Antrieb in die Amtsstuben begeben. Erst dann würde die eigentliche Volksabstimmung angesetzt. Die Initiatoren dürfen also, anders als in der ersten Stufe, nicht mehr selbst Unterschriften sammeln, ihnen wird nicht einmal ein Zwischenstand mitgeteilt. „So läßt sich keine Werbekampagne dosieren“, sagt Jürgen Brinkmann vom Berliner Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (BVR), der das Volksbegehren organisiert hat. Gegen diese Behinderungen haben die Initiatoren vor dem Berliner Verfassungsgericht geklagt, mit einer Entscheidung über den Eilantrag rechnet Brinkmann noch in dieser Woche.

Gleichwohl sieht Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) nach Auskunft ihrer Sprecherin dem Ergebnis der Unterschriftenaktion „mit großer Gelassenheit entgegen“. Weil die Erstkläßler an den Berliner Schulen bereits seit drei Jahren die neue Schreibweise lernen, reagierten Eltern und Lehrer „mit zunehmender Gereiztheit“ auf Versuche, die Reform schon wieder umzustoßen. Die Neuregelung werde „vieles vereinfachen“. Es dürfe „nicht sein, daß Erwachsene auf Biegen und Brechen am einmal Erlernten festhalten“. Ohnehin werde die alte Rechtschreibung in einer Übergangsphase bis 2005 nicht als fehlerhaft gewertet.

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