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Nato-Staaten weisen Belgrads Klage zurück

Die jugoslawische Regierung klagt wegen der Nato-Bombardements vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Belgrad: Der Tatbestand des Völkermords ist erfüllt. Die Zuständigkeit des UN-Tribunals ist umstritten  ■   Von Christian Rath

Berlin (taz) – Agitation und Taktik dominierten vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Am Mittwoch abend ging eine dreitägige Verhandlung über den Kosovo-Krieg zu Ende. Jugoslawien wirft Deutschland, den USA und weiteren acht Nato-Staaten vor, einen Angriffskrieg zu führen und Völkermord an der jugoslawischen Bevölkerung zu begehen. Als Sofortmaßnahme beantragte das Land einen Waffenstillstand. Die Nato-Staaten bestritten bereits die Zuständigkeit des UN-Gerichts.

Wie zu erwarten war, standen die Zuständigkeitsfragen auch im Mittelpunkt der Verhandlung. Der IGH kann nämlich nur mit Einverständnis der Beteiligten Recht sprechen. Entweder die Streitparteien gehören gemeinsam einem Vertragssystem an, das (wie die Völkermord-Konvention) direkt den Weg zum IGH ebnet, oder sie unterwerfen sich generell oder im Einzelfall der IGH-Rechtsprechung. Vier der Nato-Staaten (Deutschland, USA, Frankreich und Italien) haben keine derartige Unterwerfungserklärung abgegeben. Sie konnten daher nur mit einer Völkermord-Klage nach Den Haag zitiert werden.

Der Vorwurf des Völkermords gegen die Nato-Staaten vergiftete allerdings von vornherein das Klima. „Das ist ein absurder Mißbrauch der Völkermordkonvention“, empörte sich etwa Gerhard Westdickenberg, der deutsche Prozeßvertreter. Sein britischer Kollege John Morris betonte, daß es einen deutlichen Unterschied zwischen „normalen Kriegshandlungen“ und einem „Völkermord“ gebe. Den Nato-Staaten fehle jede Absicht zu einem Genozid. Die jugoslawische Delegation beharrte jedoch darauf, daß die Bombardements auf bewohnte Gebiete den Tatbestand des Völkermords erfüllten. Immerhin habe es in Jugoslawien schon 1.200 Tote gegeben.

Der taktisch-politische Schlagabtausch verstellte weitgehend den Blick auf die eigentlich relevante Frage: ob der Nato-Angriff auf Jugoslawien ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrats völkerrechtlich zulässig war. Das Prinzip der „humanitären Intervention“ gewinne im Völkerrecht „langsam, aber sicher“ an Anerkennung, wurde UN-Generalsekretär Annan zitiert. Die belgische Delegation verwies auf Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats, der zumindest eine drohende „humanitäre Katastrophe“ festgestellt hatte.

Die anderen Nato-Staaten ließen sich auf diese Diskussion erst gar nicht ein und argumentierten eher moralisch.

Im Auftrag der jugoslawischen Seite wies dagegen der Oxford-Professor Ian Brownlie darauf hin, daß das Prinzip der „humanitären Intervention“ bisher nur von einer Minderheit der führenden Völkerrechtsexperten anerkannt werde. Hier konnten die Kläger sicher manche Punkte beim Gerichtshof gutmachen.

Deshalb versuchten auch die IGH-freundlichen Nato-Staaten, die Zuständigkeit der UNO-Richter für diesen Fall zu bestreiten. Ihr Hauptargument: Die Bundesrepublik Jugoslawien sei gar nicht Mitglied der UNO und könne sich deshalb nicht ohne weiteres an den IGH wenden.

Tatsächlich gibt es entsprechende Beschlüsse des Sicherheitsrates und der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1992. Nach dem Auseinanderbrechen des alten jugoslawischen Staates war das Miloevic-Regime aufgefordert worden, einen neuen Aufnahmeantrag an die UNO zu stellen. Rodoljub Etinski räumte zwar ein, daß Jugoslawien derzeit in der UN-Generalversammlung nicht mitwirken dürfe, UNO-Mitglied sei Jugoslawien aber dennoch. „Wir haben unsere Beiträge pünktlich bezahlt“, betonte der Rechtsprofessor aus Novi Sad – ein kleiner Seitenhieb gegen die USA, den größten Beitragsschuldner der UNO.

Falls die formalen Argumente der Nato-Staaten nicht ziehen, könnte der IGH tatsächlich per einstweiliger Anordnung Staaten wie Belgien oder Kanada zum Stopp ihrer Angriffe auffordern. Dies würde allerdings auch den politischen Druck auf die übrigen Partner der Allianz erhöhen. Mehrmals wurde daher der IGH von den Westmächten ermahnt, die politischen Folgen seines Handelns mitzubedenken. Der kanadische Vertreter Phillipe Kirsch forderte, daß sich richterliche Sofortmaßnahmen nicht nur gegen die Nato-Angriffe richten dürften, sondern auch den Kosovo-Albanern Schutz bieten müßten.

Der Internationale Gerichtshof will über den beantragten Waffenstillstand in den nächsten Wochen entscheiden. Der Prozeß in der Hauptsache kann dagegen noch Jahre dauern.

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