: Wiese im ersten Stock
Es müssen nicht immer Geranien oder Stiefmütterchen sein: Experimente für den kreativen Gartenbau in Balkonien ■ Von Gernot Knödler
Stiefmütterchen hier, Geranien dort: Viele Leute, die ihren Großstadt-Balkon zum Gartenersatz machen wollen, greifen auf einjährige Topfpflanzen zurück. Eingezwängt in enge Balkonkästen, verdursten diese beim ersten langen Wochenende, das der Hausherr an der See verbracht hat. Und spätestens mit dem Wechsel der Jahreszeiten wandert die jeweilige Blumengeneration in den Müll – ein Jammer, wie der Gärtner Tobias Borchardt findet. Als Alternative schlägt er vor, zu experimentieren.
Grundsätzlich sei es „ziemlich schwer, Pflanzen auf dem Balkon zu halten“, räsoniert der Hamburger, denn jeder Balkon habe sein eigenes Mikroklima: Wie weht der Wind? In welche Himmelsrichtung zeigt der Balkon? Wie hell sind die Wände? Gibt es eine Glastür, die Licht zurückwirft? Grundregel Nummer eins für alle, die wollen, daß ihre Pflanzen über mehrere Generationen in Balkonien gedeihen: „Probieren, probieren, probieren.“
Ausgehend von der Überlegung, daß die meisten Balkone nach Süden zeigen, wäre es Borchardts Meinung nach einen Versuch wert, eine Wildblumenwiese im Balkonkasten anzulegen. Ein Kilo Pflanzen-Mischung mit 40 bis 50 Sorten ist für 25 Mark zu haben. Sie wird auf ein Gemisch aus Sand und ganz normaler Erde gestreut. „Das sind alles Magerrasenpflanzen“, sagt Borchardt. Auf Blumenerde sollte die Balkongärtnerin verzichten. Häufig sei die ohnehin überdüngt.
Dann heißt es warten und scharf beobachten, wie gut die unterschiedlichen Blumensorten gedeihen. Ganz darwinistisch wird nachgesät, was sich prächtig entwickelt. Und nach ein paar Jahren blüht im Balkonkasten eine angepaßte Pflanzengemeinschaft, die lediglich ab und zu gegossen und gemäht werden muß. Valentins- und Muttertag sind gebongt.
Voraussetzung für das weitgehend selbständige Biotop ist ein Balkonkasten, der breiter und tiefer ist als üblich – ein Tip, der für jeden Balkon gilt, denn die Pflanzen brauchen Wurzelraum und die Erde sollte Feuchtigkeit speichern können. Nasse Füße sollen Schleifenblume, Sonnenhut und Lupine jedoch auch nicht kriegen, weshalb Gärtner Borchert Terrakotta-Gefäße empfiehlt, die Feuchtigkeit abgeben können. „Bloß nicht Plastik“, wehrt er ab, „damit funktioniert gar nichts“.
Die Terrakotten eignen sich auch gut für Küchenkräuter. In verschieden große, mit unterschiedlich fetter Erde gefüllte Töpfe können Majoran, Thymian, Basilikum, Minze und Lavendel gepflanzt werden. Alternativ zu den irdenen Töpfen kommen die in England beliebten „hanging baskets“ in Frage: mit Moos ausgekleidete, erdgefüllte Drahtkörbe, die an der Decke zum Balkon drüber befestigt werden.
Schließlich ein Experiment für Naturfreaks, das Borchardt selbst ausprobiert hat: Fast jeder Balkon hat Platz für ein Behelfs-Feuchtbiotop in der abgesägten Tonne. Mindestens 60 Zentimeter Durchmesser sollte der Mini-Teich haben und er sollte mit ein bis zwei Wasserpflanzen besetzt werden, die die Larven künftiger Teichbewohner mitbringen. „Man wundert sich, wie schnell man da Wasserflöhe und Wasserläufer hat“, sagt Borchardt. Doch Vorsicht: Der Teich sollte nicht zu sehr in der Sonne stehen – sonst explodiert das Leben.
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