piwik no script img

Stecker raus, Verstärker aus

Im August macht das Molotow dicht. Weshalb wird Rockmusik in dieser Stadt eigentlich immer noch als Kultur zweiter Klasse gesehen?  ■ Von Michael Hess

Beim letzten Branchentreff der in Hamburg ansässigen Musikunternehmen wurde publik, was nur wenige wußten: Hamburgs Kultursenatorin Dr. Christina Weiss ist eine passionierte Pistengängerin. Regelmäßig, so wurde vorletzten Donnerstag im Alsterpavillon unter Beifall der versammelten Musikmafia laut – regelmäßig mache sie ihre Runde durch die Live-Clubs der Stadt und halte sich so auf dem subkulturell Laufenden.

Dabei steht zu befürchten, daß die Senatorin demnächst ruhigen Gewissens zu Hause bleiben kann. Denn die einst gerühmte Hamburger Clublandschaft trocknet zusehends aus. Neben den beiden subventionierten Veranstaltungszentren Markthalle und Fabrik gibt es kaum mehr Läden, die sich einen regelmäßigen Konzertbetrieb leisten können. Steuern, GEMA-Abgaben und ein kürzlich ergangenes Wildplakatier-Verbot graben den verbleibenden Läden das Wasser ab.

Vorläufiger Höhepunkt einer beschämenden Entwicklung: Im August wird mit dem Molotow der letzte Live-Club auf dem Kiez dichtgemacht, der über ein eigenes Booking verfügt und nicht nur schnöde Mietveranstaltungen durchführt. Das erstaunt um so mehr, da sich der Underground-Laden am Spielbudenplatz in den letzten zwei Jahren zu einer scheinbar gut laufenden Institution entwickelt hat. Dank eines ansprechenden Programms, der zentralen Lage und einer relativ niedrigen Preisstruktur fanden selbst relativ unbekannte und experimentelle Künstler ein Publikum.

Daß das allein heutzutage nicht mehr ausreicht, mußte Molotow-Betreiberin Gesine Judjahn in letzter Zeit schmerzlich erfahren. Durchschnittlich 120 Gäste pro Konzert brauche das Molotow, so Judjahn, um bei Eintrittspreisen um 14 Mark kostendeckend zu arbeiten. Veranstaltungen mit weniger Zulauf sind allenfalls gut besuchte Flops. Die will man sich am Spielbudenplatz zukünftig ersparen. Mit einem Brandbrief an die Kulturbehörde machte Judjahn bereits im April ihrem Unmut über eine fehlende, dauerhafte Förderung Luft. Die Konsequenzen werden für das Hamburger Konzertleben bald spürbar. Judjahn: „Es kann schon sein, daß bestimmte Bands zukünftig nicht mehr nach Hamburg kommen.“

Auf Seiten der Kulturbehörde stößt die schwierige Situation der Clubs seit langem auf wohlwollende Ratlosigkeit. Einerseits weiß man dort genauso wie in der Wirtschaftsbehörde um die Wichtigkeit einer lebendigen Clublandschaft – gerade in Hinblick auf den zu wahrenden Musikindustrie-Standort Hamburg. Andererseits sind die alljährlichen 70.000 Mark städtische Clubprämie (auf die die beim Vergabeprozeß beteiligte Phono-Akademie noch einmal 30.000 aufschlägt) im Vergleich zur Förderung anderer privater Kultureinrichtungen nicht mehr als ein gutgemeinter Witz.

„Wo nichts ist, kann nichts verteilt werden“, klagt dann auch Riekje Weber, Rockbeauftragte des Senats, und verweist lieber auf eine jüngst in Angriff genommene Studie. Zusammen mit dem musikwissenschaftlichen Institut der Uni Hamburg arbeite man an einer ersten Erhebung zur Situation der Hamburger Live-Clubs. Mit auswertbaren Ergebnissen sei jedoch nicht vor November zu rechnen.

Ob solange noch irgendein Club durchhält, ist fraglich. Dank einer jüngst ergangenen Verordnung gegen Wildplakatierung wird das traditionelle Bewerben von Livemusik zu einem nicht mehr tragbaren Risiko. Widerrechtliches Plakatieren kann nunmehr mit Zwangsgeldern bis zu 100.000 Mark geahndet werden. Gleichzeitig ist ein regulär durch die Hamburger Außenwerbung (HAW) durchgeführter Aushang für keinen Club finanzierbar. Bei einem 14tägigen Aushang von 200 Plakaten würde sich beispielsweise im Molotow der Eintrittspreis für jede beworbene Veranstaltung um schlappe 25 Mark pro Karte erhöhen.

Anfang Juni will die HAW daher ein Rahmenkonzept für die Kultur-Plakatierung vorstellen, das eine preisgünstigere Vermietung von Werbeflächen auf Schaltkästen und offiziellen Plakatwänden vorsieht. Die Verwirklichung dieser Pläne soll im Herbst abgeschlossen sein. Bis dahin, so ein Sprecher der HAW, gelte eine Schonfrist für Wildplakatierer. Man wolle den Clubs schließlich nicht das Leben schwermachen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen