: „Kein Raum für Opposition“
■ Nebojsa Covic, Zögling Milosevic' und bis Ende 1997 Bürgermeister Belgrads, über die Folgen der Bombardements und die Rolle der Opposition
Nebojsa Covic (41) gründete 1997 die „Demokratische Alternative“ und ist Koordinator des „Bundes für Veränderungen“, in dem zwanzig serbische Oppositionsparteien vertreten sind. Als „Wunderkind“ der Miloevic-Sozialisten wurde er 1994 jüngster Bürgermeister Belgrads. Im Winter 1997 stellte er sich jedoch auf die Seite der Opposition, die wegen des Wahlbetrugs des Regimes zu Massendemonstrationen aufgerufen hatte.
taz: Gibt es seit dem Beginn des Krieges überhaupt eine demokratische Opposition in Serbien?
Nebojsa Covic: Wir haben noch vor Ausbruch des Krieges nachdrücklich davor gewarnt, daß die regierenden Parteien den Kriegszustand ausnutzen würden, um die gesamte Opposition, ja jeden kritischen Gedanken in Serbien auszulöschen. Genau das ist leider geschehen. Die Nato hat so indirekt dazu beigetragen, daß das herrschende Regime noch stärker wird.
In der ersten Phase des Krieges konnte man sogar eine neue Homogenität in der Gesellschaft feststellen, weil die Nation von einem äußeren Feind bedroht wurde. Die regierenden Parteien, die sich als gemäßigt links bezeichnen, haben dann mit gewissem Erfolg versucht, das ideologisch zu mißbrauchen, mit verschiedenen Massendemonstrationen gegen die Nato ...
Meinen Sie die Protestkonzerte und Versammlungen auf den Brücken in Belgrad?
Ja, die meine ich. In den ersten zehn Tagen waren diese Protestversammlungen wirklich eine spontane Reaktion der Bürger, die gegen die Zerstörung ihres Landes demonstrierten. Alle Bürger dieses Landes verurteilen die Aggression der Nato.
Doch jetzt gewinnt man den Eindruck, daß sie von Parteiaktivisten des Regimes organisiert werden. Deshalb machen auch viel weniger Menschen mit. Außerdem stellt es die Nato so hin, als seien die Brücken, die Straßen, die Fabriken, die Gebäude, die sie zerstört, Eigentum des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic und seiner Gattin, Mira Markovic, und nicht eines ganzen Volkes.
Kann die demokratische Opposition denn überhaupt nichts tun?
Wir sind natürlich alle besorgt, wie das Land nach dieser Zerstörung überhaupt funktionieren wird. Doch solange der Krieg dauert, gibt es einfach keinen freien Raum für Aktivitäten. Die Opposition hat keinen Zugriff auf die Medien. Es herrscht Kriegszensur.
Im Moment wäre es weder klug noch verantwortlich, sich mit kritischen Aussagen das Lob des Westens einzuholen, ein mutiger Mensch und großer Demokrat zu sein, um danach im Lande ein schönes, großes Begräbnis zu bekommen. Wer den Krieg ausgelöst hat, der soll ihn auch beenden. Die serbische Opposition muß sich bis zu diesem Zeitpunkt unbedingt halten.
Sie haben früher oft gesagt, daß dieses Regime nicht nur die Albaner im Kosovo, sondern auch die Menschenrechte aller Bürger in Serbien bedroht.
Ja, das war vor dem Krieg. Doch jetzt ist unsere wichtigste Aufgabe, einig in der Verteidigung des Staates zu bleiben. Danach werden wir wieder über Demokratie reden. Die Kritik des Regimes während des Krieges schwächt den Staat, wäre also eine De-facto-Unterstützung der Nato, die das Land systematisch zerstört.
Ich bin dafür, daß die Albaner im Kosovo eine breite Autonomie erhalten, doch diese Autonomie muß der serbischen Verfassung angepaßt werden. Der moderate Dr. Ibrahim Rugova akzeptiert diese Autonomie, doch die extremistischen kosovo-albanischen Vertreter proklamieren kompromißlos die Unabhängigkeit des Kosovo. Und das kann Serbien nicht zulassen. Das hat mit Miloevic nichts zu tun, daß die Serben nun einmal mit dem Kosovo als ihrer geistigen und kulturellen Wiege berauscht sind. Das muß die internationale Gemeinschaft einsehen, Serbien kann Kosovo nicht aufgeben.
Aber die internationale Gemeinschaft hat doch auf der Souveränität Serbiens die ganze Zeit bestanden.
Das hängt davon ab, wie Sie die Souveränität und die territoriale Integrität eines Staates definieren. Die Stationierung von ausländischen, schwerbewaffneten Truppen, also der Nato, in einem Staat löscht seine Souveränität aus. Und genau das haben die Europäische Union und die USA von Serbien gefordert. UN-Friedenstruppen sind etwas ganz anderes, aber davon war in Rambouillet und Paris nicht die Rede. Die internationale Gemeinschaft hätte genauso darauf bestehen können, daß die Kosovo-Albaner den serbischen Staat nicht boykottieren, an Wahlen teilnehmen und anstatt einen Staat im Staat aufzubauen, sich in Serbien integrieren. Daß das Kosovo die Autonomie erhalten soll, war auf serbischer Seite stets unumstritten.
Interview: Andrej Ivanji
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