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Bremen weltweit Brodelpott

■ Eine Umfrage beweist: Wenn die Kulturpolitiker Macht hätten, wäre schon nach vier Jahren ein Kessel Buntes zu bestaunen

Am Schluß macht SPD-Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (oder ihr Ghostwriter) doch einen kleinen Rückzieher. „Mehr Träume will ich aber nicht preisgeben“, schreibt sie ans Ende eines Briefes an die Kulturpolitische Gesellschaft. Der nordwestdeutsche Regionalverband dieser Organisation hatte die Senatorin, die kulturpolitischen SprecherInnen sowie die SpitzenkandidatInnen von sechs für die Bürgerschaftswahlen am 6. Juni kandidierenden Parteien in einem Fragebogen unter anderem nach ihren kulturpolitischen Träumen befragt. Und Bringfriede Kahrs hat – neben VertreterInnen von SPD, CDU, Grünen, AfB und FDP – geantwortet. Nur die PDS reagierte nicht auf die Umfrage.

Wenn Kahrs „die alleinige Macht und das erforderliche Geld zur Verwirklichung ihrer Vorstellungen“ hätte, dann gäbs beim „persönlichen Rundgang durch Bremens Kulturlandschaft nach vier Jahren erfolgreichen Regierens“, so die Fragestellung, viel zu sehen. Allüberall in „Vororten, Stadtteilen und Quartieren“ würden Ausstellungen, Konzerte und Theaterinszenierungen organisiert. Am nördlichen Zipfel des zugeschütteten Übersee-Hafens stünde Daniel Libeskinds „Musicon“, neben dem Teerhof gäbe es eine schwimmende Bühne. Die großen Theater hätten große Ensembles – auch zur Unterstützung der freien Szene – und das Orchester die lang geforderten 100 Stellen. Auch die Museen wären glücklich über Schaumagazine und Etats für Ankäufe, wenn Bringfriede Kahrs Macht – ähem, alleinige Macht – hätte.

Aber die Senatorin muß sich, wenn sie nach der Wahl überhaupt im Amt bleibt, die Macht teilen. Mit Konservativen. „So viel anders“, beantwortet Bürgermeister Henning Scherf (SPD) die Traumfrage, „würde unsere Kulturlandschaft gar nicht aussehen. Da ich ja permanent auf Rundgang durch unsere Kultureinrichtungen und Veranstaltungen bin, weiß ich, wie viel Attraktives und Bezauberndes in Bremen zu erleben ist“, schreibt der von positiven Kräften umzingelte Optimist aus dem Rathaus.

Die CDU-Kulturpolitikerin Elisabeth Motschmann hat immerhin den Ausbau der Kulturmeile (rund um Kunsthalle und Theater), die kulturelle Nutzung des Teerhofs und des Postamts 5 vor ihrem träumenden Auge. Aber: „Kultur bedarf nicht in erster Linie der Initiative des Staates, sondern der seiner Menschen.“ Ihre SPD-Kollegin Carmen Emigholz sieht, obwohl ihr das Nachdenken über alleinige Macht schwer fällt, bei ihrem Rundgang mehr internationalen Kulturaustausch und mehr politisch verfolgte Künstler, die in Bremen Zuflucht finden. Alle Bürger könnten sich die Teilhabe am kulturellen Leben leisten – neuerdings zum Beispiel im „Musicon“, im ausgebauten Medienzentrum oder auf dem Teerhof. Der „gesellschaftspolitische Fehler“ von Bibliotheksschließungen und Personaleinsparungen wäre auch korrigiert. Und von jeder Eintrittskarte zu einem öffentlich geförderten Kultur-Event ginge eine Mark in die künstlerische Nachwuchsförderung.

Und was macht die Opposition? Würde mit ihr alles anders? Nicht ganz. „Die alleinige Macht? Ich? Keine gute Idee“, hat auch der FDP-Kulturpolitiker Thomas Becker Skrupel. Aber er träumt von einer vollen Besetzung des Orchesters – als GmbH –, von einem Focke-Museum in der Innenstadt und einem staatlichen Ankaufsetat für Museen. Klaus Bernbacher (AfB) sieht in der Regulierung von Bremens Finanzmisere absoluten Vorrang. Unter seinem Diktat würde Bremen aber vor allem in Wissenschaft und Kultur investieren, und seine Bewohner könnten sich („unter anderem“) am Musicon erfreuen. Die grüne Kulturpolitikerin Karin Krusche würde einen Umzug von Zentralbibliothek und modernisiertem Medienzentrum ins Polizeihaus verfügen. Das Medienzentrum wäre ein multikulturelles Zentrum und das Lagerhaus Schildstraße ein Jugendtreffpunkt. Das KITO hätte „endlich einen Fahrstuhl“, die kleineren Theater hätten genug Geld, und der Brodelpott wäre „in ganz Bremen berühmt“ für seine stadthistorischen Spaziergänge. Beim Rundgang der Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel ist neben vielen auch von anderen erwähnten Neuheiten und Sanierungen zusätzlich ein Literaturhaus und eher unübliche internationale Kultur zu sehen. Außerdem würde Bremen eine internationale Bauausstellung ausrichten, die der Stadt architektonische Leckerbissen bescherte. ck

Neben der „Allmachtsfrage“ haben die KulturpolitikerInnen noch vier weitere Fragen über die Neuordnung und Unterfinanzierung im Kulturbereich, über Interkulturelles und über die kulturelle Wirtschaftsförderung beantwortet. Unter dem Titel „Der Kandidat/die Kandidatin hat zwölf Punkte“ diskutieren sie heute, Dienstag, um 20 Uhr im Theater am Leibnizplatz darüber. Dort liegen die Antworten in voller Länge aus.

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