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Roth wühlt nun in Bremen

■ Wertvolle Archive zur NS-Sozialgeschichte teils aus den USA der der Sowjetunion nun in Bremen / Uni spendierte dem unbequemen Karl-Heinz Roth einen „Arbeitsplatz“

Karl-Heinz Roth, Veteran der antiautoritären Studentenbewgung und zeitweise einer der intellektuellen Köpfe für die „Autonomen“-Szene, ist richtig an der Bremer Universität angekommen. Gestern zeigte er der Presse seinen „Arbeitsplatz“, den ihm die Universität spendiert hat, und sein Archiv, das er der Bremer Uni geschenkt hat gegen die Zusage, daß er es hier in einem ca. 200 Quadratmeter großen Raum zugänglich aufstellen darf. Da lagern nun sozialgeschichtliche Forschungs-Unterlagen aus Archiven in den USA und auch in der früheren Sowjetunion, vielfach Raritäten, die es so andernorts in Europa nicht gibt. Oder auch einzelne Fundstücke wie eine medininische Fachzeitschrift aus der Nazi-Zeit, die die Hamburger Uni-Bibliothek einmal aussonderte, weil die Medizinische Fachabteilung sie nicht mehr im Regal haben wollte. „Ein Dokument des medizinischen Rassismus“, sagt Roth, er besorgte sie sich für sein Archiv. An der Bremer Uni können die Materialien nun von Wissenschaftlern genutzt werden.

Roth ist eigentlich Mediziner, er hatte 1992 bei Prof. Hanjo Steinberg in Bremen als Historiker promoviert. Er gehörte zeitweise zum Hamburger (Reemtsma-)Institut für Sozialgeschichte, das durch die Wehrmachtsausstellung auch außerhalb der Fachkreise bekannt geworden ist. Roth selbst hat vor allem mit seinen Studien über die Verstrickung deutscher Unternehmen in die NS-Diktatur (Daimler Benz und andere) Aufsehen erregt; er berät mit seinem Fachwissen Kläger, die für die Zwangsarbeiter Entschädigungen durchsetzen wollen. Finanziert wird seine Arbeit unter anderem durch einen früheren hohen IG Farben-Mitarbeiter, der sein privates Vermögen für die Aufklärung über die Rolle der IG Farben in der Nazizeit ausgibt.

In der neuesten Ausgabe der „Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhundert“, die Roth unter dem Titel „1999“ mitherausgibt, und die nun ihren Sitz an der Bremer Uni hat, ist mit Dokumenten die Kontinuität im wirtschaftspolitischen Denken von Ludwig Erhard dargestellt. Erhard hatte sich schon im Auftrage der Nazis Gedanken über die Frage gemacht, wie die deutsche Wirtschaft nach dem Endsieg, wenn die enormen Ausgaben für die Rüstungsindustrie nicht mehr nötig sind, neu organisiert werden sollte. „Das Ende eines Mythos“ nennt Roth die von ihm aus seinen Archiven zusammengestellte Dokumentation von Texten des Wirtschaftswunder-Kanzlers aus dessen Nazi-Jahren 1939-1945.

Das größere Werk, an dem im Roth-Archiv derzeit gearbeitet wird, ist eine Edition der Unterlagen zu dem „Nürnberger Ärzte-Prozeß“, der 1947/48 stattgefunden hat. Roth-Mitarbeiter haben die Akten der Staatsanwälte in Washington und die Handakten der Verteidiger in Nürnberg aufgestöbert und nach Bremen mitgebracht. Als Anhang der Edition soll es ein Namensregister geben – ein who is who der medizinischen Größen Deutschlands im 20. Jahrhundert.

Daß der sozialgeschichtliche Forschungsansatz, für den Roth steht, nun in Bremen angesiedelt ist, hat die Universität vor allem dem früheren Uni-Rektor Prof. Steinberg zu verdanken. Der hatte schon seine private Bibliothek „gestiftet“, sie steht neben Roths Archiv im Bremer „Institut für Regional- und Sozialgeschichte“. Steinbergs Institut hatte Kontakte zu Roth und konnte ihm die ordentliche Unterbringung seines Materials anbieten. Dort hat Roth nun auch ein kleines Arbeitszimmer zur Verfügung, das bis zur Decke mit Akten gefüllt ist. Heizung und Telefon sind inklusive, eine Stelle hatte die Uni für den unbequemen Geist nicht übrig.

K.W.

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