: Ordnungswidrigkeit Windelkauf
■ Für „city.crime.control“ im Atrium-Hof erzählte die Hamburger Obdachlosen-Initiative „Die Mission“, wie man sich gegen die Law-and-Order-Politiker dieser Welt wehren kann
Vor eineinhalb Jahren überließ Christoph Schlingensief sein Herzensbaby „Die Mission“ den Unwägbarkeiten des Lebens. Heute gibt es sie immer noch – mittlerweile nicht mehr am geheiligten Ort der Junkies und Penner, dem Hauptbahnhof, sondern nahe der Hamburger Springerresidenz, ausgerechnet! Denn während sich Kultursenatorin Weiss mit dem weltallweit einmaligen Projekt brüstete, setzte es die städtische Immobilienverwaltung schnöde auf die Straße. Nun gibt es Abend für Abend Essen, Konzerte, Skatspiel, Bibliothek, Kicker- aber auch Schlafmöglichkeit für physisch oder psychisch Unbehauste, also möglichst für Jedermann, in neuen Räumen.
Für „city.crime.control“, jene äußerst bemerkenswerte Aktionswoche, die ein Haufen sehr junger Menschen frei aus dem Stand, also ohne institutionelles Rückgrad und Geld – quasi missions-adäquat – auf die Beine stellten, dokumentierte „Die Mission“ drei superlustige Aktionen wider den neuen Sauberkeits- und Sicherheitsirrsinn. In den wunderschönen, holzknarrigen, unbedingt besichti-gungswürdigen Atriumräumen (Vor dem Steintor 34) waren verwackelte Videos mit brüchigem O-Ton zu sehen, die alle Dogma-95-Standards locker erfüllen. Dort sah man, wie Künstler und Obdachlose der „Mission“ durch die Stadt liefen und irgendwelchen aufgestylten Typen mit der Begründung die Schuhe putzten: „Wir Arme müssen Euch Reichen helfen. Denn nur wenn es Euch gut geht, kann es auch uns gut gehen.“ Im Prinzip exakt jener Sprachmüll, den die Mehrheit unseren Nachrichtensprechern treuherzig glaubt. In irrwitzig handfeste (zugegeben ein wenig kafkaesk zugespitzte) Realität umgesetzt aber, bringt das die Leute schwer zum Stutzen.
In der Bahnhofseinkaufspassage, die man rein formell nur mit Bahnfahrkarte frequentieren darf, zwangen die MissionarInnen kartenlose Menschen zur Rückgabe ihrer gerade erst gekauften Pamperswindeln – streng nach dem Wort des Gesetzes. Der Witz: Die Leute ließen sich tatsächlich ihre Schuhe putzen, sie gaben tatsächlich schuldbewußt ihre Pampers zurück. Ein Versuch endlich nicht mehr schreckstarr wie eine Eidechse der zunehmenden Guilianisierung deutscher Städte gegenüberzustehen. bk
Weitere Aktionen wird es bis 30. Mai meist um 15 und 19 Uhr (siehe Terminkalender) geben. Wir können die ganze Fülle von Konzerten und Präsentationen hier nicht dokumentieren. Man muß schon hingehen.
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