: Lieber Krämer als Kunde
■ Versteigerungen online werden auch in Deutschland immer beliebter
Richtig Geld wird im Internet noch immer nicht verdient. Zwar ist die Zahl der digitalen Einkaufsmeilen unübersehbar, aber die ganze Branche jammert, daß die Kunden nur spärlich vorbeischauen. Offenbar macht ihnen der Einkauf in der Netzfiliale der großen Handelsketten keinen rechten Spaß – sie wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben, und zögern, die anonyme Maschine mit ihrer Kreditkartennummer zu füttern.
Alle diese Hemmungen aber scheinen zu fallen, wenn kein Großunternehmen am anderen Ende der Leitung sitzt. Online-Versteigerungen liegen im Ternd und melden beinahe täglich neue Besucherrekorde. Systemkonform nutzen sie das Internet nicht bloß als billige Verkaufsauslage, sondern als freien Marktplatz, auf dem jeder ebensogut kaufen wie verkaufen darf.
Alles begann mit der Idee von Pierre Omidyar. Seine Geschichte erinnert an den Mythos vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird. Nur, daß Omidyar als angestellter Programmier im sagenumwobenen Silicon Valley anfing und heute nicht Millionär, sondern sechsfacher Milliardär ist. Als 27jähriger richtete der fanatische Sammler von PEZ-Bonbonschachteln unter dem Namen „eBay“ (www.ebay.com) eine Auktionsseite für Gleichgesinnte ein. Er ahnte nicht, daß sich das Geschäft so gut entwickeln sollte, daß er einmal Provisionen von den Anbietern verlangen könnte. Und er ahnte auch nicht, daß seine Auktions-seite vier Jahre später mit 2,4 Millionen Mitgliedern zum größten Flohmarkt der Welt wurde.
Genauso aber kam es. Omidyars Online-Konzern ist an der New Yorker Börse über 20 Milliarden Dollar wert und gehört neben AOL, Amazon und Yahoo in das Portfolio jedes Internet-Spekulanten. Längst kommt bei eBay weit mehr unter den digitalen Hammer als leergelutschte Bonbonschachteln mit Kultstatus: Computer, Gebrauchtwagen, Bücher, Spielzeug, Briefmarken: einfach alles, wofür sich Käufer und Verkäufer finden lassen. Selbst einsame Inseln, Arztpraxen oder Van-Gogh-Gemälde sind dabei.
Rund 140 eBay-Mitarbeiter sorgen dafür, daß alles mit rechten Dingen zugeht. Etliche sind mittlerweile selbst Millionäre, weil sie sich einen Teil ihrer Gehälter in Aktien und Optionen auszahlen ließen. Der Boom der Internet-Aktien machte sie über Nacht reich.
Das Prinzip von Online-Auktionen ist simpel: Wer teilnehmen möchte, läßt sich zunächst bei einem Anbieter wie eBay registrieren. Dann kann er nach Belieben Gegenstände kaufen oder verkaufen. Verkäufer hinterlassen eine detaillierte Beschreibung ihrer Auktionsgüter, legen Mindestpreise fest und ordnen sie Warengruppen wie etwa Technik oder Literatur zu. Die Käufer durchstöbern diese Kategorien nach Schnäppchen und feilschen per Mausklick mit. Wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag. Ist der Handel perfekt, informiert das Online-Auktionshaus Bieter und Anbieter per E-Mail. Versand und Bezahlung regeln normalerweise beide Seiten untereinander.
Besonders günstig ist der Einkauf dieser orientalischen Art nicht in jedem Fall. Im Händlerrausch lassen sich regelmäßig Bieter zu überhöhten Geboten hinreißen. Nicht selten wird ein vermeintliches Schnäppchen für einen Betrag weit über dem Ladenpreis verhökert.
Trotzdem ist das Prinzip so erfolgreich, daß es inzwischen mehrere hundert Nachahmer fand. In den USA ist der Markt bereits bis ins kleinste aufgeteilt, etwa 1.000 Online-Versteigerungen buhlen um die Gunst der Kunden, und das amerikanische Marktforschungs-unternehmen Jupiter Communications prophezeit dem neuen Geschäftszweig bis zum Jahr 2002 Umsätze bis zu 15 Milliarden Mark. Selbst viele traditionelle Auktionshäuser machen Filialen im Netz auf, um möglichst früh auch online Fuß zu fassen.
Auch in Deutschland eifern seit dem letzten Jahr mehrere Unternehmen dem Erfolg von eBay nach. Allen voran „Ricardo.de“, ein Tochter-Unternehmen des Hamburger Gruner + Jahr Verlages. Im Unterschied zum amerikanischen Vorbild verlangen die Nordlichter keine Provisionen, sondern verdienen an aufgekauften Restposten, die sie weit unter Ladenpreis versteigern.
Im letzten Geschäftsjahr konnte Ricardo nach eigenen Angaben einen Umsatz von rund fünf Millionen Mark verbuchen. Jeden Monat wachse das Geschäft um weitere 30 Prozent, im nächsten Jahr wolle man an die Börse, freuen sich die Hamburger. Trotzdem ist derDurchbruch noch nicht geschafft: Im letzten halben Jahr wickelten die Hamburger gerade einmal 3.000 Auktionen mit 150.000 Geboten ab. Das Vorbild eBay registriert allein etwa eine halbe Million Gebote pro Tag.
Eine der wichtigsten Hürden hat Ricardo jedoch bereits überwunden: Der Verein Hamburger Auktionatoren hatte versucht, die Online-Konkurrenz per einstweiliger Verfügung zu stoppen. Er wollte Ricardo sein kommerzielles Hauptgeschäft, das Versteigern von neuwertigen Waren, verbieten. Das Gericht wies den Antrag als unbegründet zurück, die Branche durfte aufatmen, und seither herrscht hierzulande wieder Gründerstimmung.
Noch ist es aber keinem Online-Versteigerer gelungen, sich wie eBay als Synonym für Online-Auktionen ins Gedächtnis der deutschen Internet-Gemeinde zu brennen. Aber Dutzende von Anbietern stehen in den Startlöchern: Neben RicardoAlando (www.alando.de), Feiniger (www.feininger.de) und Primus-Online (www.primus-online.de) , ein Gemeinschaftsunternehmen von Metro und Debis.
Fast täglich kommen neue hinzu – und nicht immer stecken Großunternehmen dahinter. Anfang Juni will der Berliner Student Ulf Richter mit seinem Projekt versteigern.de (www.versteigern.de) in Netz gehen. Weil der 25jährige die Seiten anderer Auktionsanbieter „viel zu dröge und unansprechend“ fand, beschloß er kurzerhand selbst zum Web-Auktionator zu werden. „Auf den meisten Auktionsseiten fühlen sich die Internet-Surfer einfach noch nicht wohl“, meint Richter. Das will er mit viel Liebe zum Detail besser machen. Monatelang surften er und sein siebenköpfiges Team durchs Web, begutachteten und erforschten die Konkurrenz, suchten nach den bewährtesten Lösungen und befragten Internet-Surfer nach ihren Wünschen.
Das Ergebnis soll eine Art „Best of Online“-Auktion sein. „Besonders wichtig war uns der Sicherheitsaspekt“, sagt Richter. So sollen sich Internet-Surfer bei versteigern.de gegen alle erdenklichen Risiken bei der Online-Auktion versichern können: Etwa, daß ein Käufer nicht zahlt oder ein Verkäufer seine Ware nicht rausrückt. Und auch um das Bezahlen muß sich niemand mehr Sorgen machen: Anstelle komplizierter und risikoreicher Online-Zahlungsverfahren wollen die Berliner ein Treuhänder-Konto einrichten, auf das erfolgreiche Bieter ihr Geld einzahlen können. Das Geld wird erst dann an den Verkäufer weitergereicht, wenn der ersteigerte Gegenstand seinen Besitzer auch wirklich gewechselt hat. Geht was schief, gibt's das Geld zurück. Jens Uehlecke
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