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Die Union im rot-grünen Dilemma

Dosierte Kritik am Nato-Einsatz und ein vielstimmiger Chor: CDU und CSU wissen nicht so recht, wie sie sich von der rot-grünen Koalition absetzen sollen  ■   Aus Berlin Severin Weiland

Der Aufruf liest sich, als wäre er vor dem grünen Parteitag in Bielefeld verfaßt. Da ist von der „Logik des Krieges“ die Rede, von der „Gewöhnung an das zum Alltag werdende Töten und Verletzen“. Schließlich findet sich auch jener Satz wieder, der zum Repertoire der Kriegsgegner in der Republik gehört, ob sie nun rechts oder links stehen: „Der Krieg darf nicht weiter eskalieren.“ Das vierseitige Schreiben aber richtet sich nicht an linke Pazifisten, sondern an Mitglieder der CDU/CSU. Knapp 30 haben den Aufruf bis heute unterschrieben, meist Mitglieder des christlichen Arbeitnehmerflügels. 30 von rund 820.000 Mitgliedern in der Union. Eine vernachlässigbare Größe also.

Dr. Erwin Bürgel aus Remscheid-Lüttringhausen weiß das. Der 49jährige Rechtsanwalt gehört zu jenen Christdemokraten, die stets zur Minderheit in der Partei gehörten. In den 80er Jahren engagierte sich Bürgel, damals noch Kreisvorsitzender, in der Initiative „Christliche Demokraten für Schritte der Abrüstung“, war gegen den Nato-Doppelbeschluß und gegen Atomkraft. Resigniert trat er zwischenzeitlich aus der Partei aus, vor einem Jahr aber wieder ein. „Nur kritisieren brachte auch nichts, und die richtige Alternative habe ich nicht gefunden.“ Seit dem Kriegsbeginn spürt Bürgel, daß in seiner CDU etwas brüchig geworden ist. „Daß Konservative für den Krieg sind, so einfach ist das nicht.“ Befürworter der Nato und der Bundeswehr hätten ihm gesagt: „Die Bombenangriffe, das war ein Riesenfehler.“

Jürgen Rüttgers ist Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen und damit Bürgels Parteichef. Wie sehr die Union in diesem Krieg um Orientierung ringt, das ist auch an Rüttgers Haltung abzulesen. Bürgel fordert zusammen mit seinen 30 Parteifreunden, sich „definitiv“ darauf festzulegen, daß die Nato keine Bodenkampftruppen einsetzt. Davon hält Rüttgers wenig. Zwei Seiten lang hat er Bürgel geantwortet. „Wer ohne vorherige substantielle Zugeständnisse der Gegenseite (vollständiger Truppenabzug der Serben aus dem Kosovo) die Kampfhandlungen einseitig einstellt und seine Ziele am Verhandlungstisch zu erreichen versucht, könnte rasch in die Lage geraten, mit der massiven Fortsetzung der Angriffe drohen zu müssen, um überhaupt Bewegung in die Sache zu bringen. Eine definitive Festlegung der Nato, Bodenkampftruppen nicht einzusetzen, macht eine solche Drohung zu einem stumpfen Schwert.“

Die verklausulierte Sprache Rüttgers ist symptomatisch für die Reaktion der Unionsführung auf den Krieg. Sie unterstützt die Nato, weil die Bündnistreue zu den USA zu ihrer programmatischen Grundausstattung gehört. Nun aber ist Rot-Grün am ersten Nato-Krieg beteiligt – ohne bislang von der Verpflichtung in der Allianz abgerückt zu sein. Umso schwerer fällt es CDU/CSU, Kritik am Kurs der Bonner Matadore zu üben. Auf dem Parteitag in Erfurt hat Wolfgang Schäuble aus der Not eine Tugend zu machen versucht. „Loyalität, Verläßlichkeit heißt nicht blinde Gefolgschaft, sondern heißt Partnerschaft. Dies erlaubt nicht nur, sondern erfordert sogar den eigenen Standpunkt“, rief er den Delegierten zu. Man werde keine „unkontrollierbare Eskalationslogik“ zulassen, eine „schleichende Ausweitung des Bundeswehreinsatzes“ ebensowenig. Das würde „auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen“, so Schäuble.

Bodentruppen, Zukunft des Kosovo – Verwirrung herrscht, weniger konzeptionelle Schlüssigkeit. Eine Dilemma, das die größte Oppositionspartei offenkundig mit der Regierung teilt. So lehnte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber bei seiner Moskau-Visite Anfang April einen Einsatz von Bodentruppen gegen Jugoslawien ab: „Das ist für die CSU ausgeschlossen.“ Volker Rühe, Scharpings Vorgänger im Bundesverteidigungsministerium, nennt kämpfende Bodentruppen im Kosovo eine „rote Linie“. Karl Lamers, der Außenpolitiker der Unionsfraktion, denkt über eine Trennung des Kosovo in einen serbischen und albanischen Teil nach.

„Wir haben uns entschieden, den Kurs der Bundesregierung zu unterstützen. Deshalb erlege ich mir Zurückhaltung auf in der öffentlichen Kritik“, hat CDU-Parteichef Wolfgang Schäuble am Mittwoch gegenüber dem Berliner Tagespiegel erklärt. Wer wie er eine geschlossene Haltung gegenüber Miloevic verlangt, muß seine Worte um so mehr abwägen. Dosierte Kritik an der Form des Nato-Einsatzes, mehr mutet Schäuble sich und seiner Partei nicht zu. Das Bündnis müsse „nicht jede Nacht die Zahl der Einsätze steigern“, sagt er.

Schäuble ist klug genug, in seiner Rhetorik die Gefühlslage seiner Wählerschaft zu berücksichtigen und sich zugleich nicht alle Handlungsspielräume zu verbauen. „Wir sagen ja zu einem begrenzten Einsatz in der Luft, aber nicht zu einem Krieg mit Hundertausenden von Soldaten im Land“, rief er den Zuhörern im Berliner Metropol-Theater entgegen. Es war der Auftakt zum Europa-Wahlkampf. Diese Woche beschloß der Nato-Rat die Stationierung von 45.000 Mann als Friedenstruppe. Hunderttausende von Soldaten und 45.000 – das ist der kleine Unterschied des CDU-Parteichefs Schäuble, der für Interpretationen Raum genug läßt.

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