■  „Die Dinge bewegen sich, wie sie sich vorher nicht bewegt haben“ – „Entscheidende Tage stehen bevor“: Mit Sätzen wie diesen nähren Diplomaten Hoffnungen auf eine Verständigung mit Milosevic und zugleich Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation des Krieges
: Letzte Chance vor dem Bodenkrieg

Mit den heutigen erneuten Vermittlungsgesprächen in Belgrad gehen die diplomatischen Bemühungen im Kosovo-Konflikt in eine entscheidende, voraussichtlich letzte Phase. Führen sie zu keinem für Nato, Rußland und die restjugoslawische Regierung zufriedenstellenden Ergebnis, dürfte Moskau seine Vermittlungsversuche demnächst einstellen und die Nato bis spätestens Mitte Juni den Einsatz von Bodenkampftruppen beschließen – mit der für einen entsprechenden Beschluß unerläßlichen politischen Zustimmung der rot-grünen Koalition in Bonn sowie unter Beteiligung von Logistik-, Nachschub- und Fernmeldeeinheiten der Bundeswehr an den Außengrenzen des Kosovo, nicht jedoch von deutschen Kampfverbänden innerhalb der serbischen Provinz.

Neu auf dem Tisch vor den heutigen Gesprächen lag dabei ein gestern in Bonn eingetroffenes Schreiben des restjugoslawischen Außenministers Zivadin Jovanovic. Danach ist Belgrad bereit, die Stationierung einer UNO-Truppe im Kosovo zu akzeptieren – auf Basis eines Beschlusses des UNO-Sicherheitsrates. Damit hätte sich die Regierung Miloevic zumindest den Vorstellungen Moskaus über den Charakter einer „internationalen Sicherheitspräsenz“ im Kosovo angenähert. Unklar blieb zunächst, ob Belgrad weiterhin darauf besteht, daß diese UNO-Truppe lediglich Polizei- oder friedenserhaltende Kompetenzen nach Kapitel 6 der UNO-Charta oder auch ein Erzwingungsmandat (Kapitel 7) erhalten soll, und daß der Truppe keine Verbände aus Nato-Staaten angehören dürfen, die aktiv am Luftkrieg gegen Restjugoslawien beteiligt sind. Diese Forderung hat die Nato bislang kompromißlos abgelehnt. Zudem besteht die Allianz weiterhin darauf, den „Kern“ der Internationalen Truppe zu stellen und ihr Kommando zu bestimmen.

In der Diskussion sind sowohl auf Gesichtswahrung aller Seiten bedachte Modelle – so könnten zum Beispiel teilnehmende westeuropäische Nato-Mitglieder wie Frankreich, Großbritannien oder die Niederlande als „EU-Staaten“ deklariert und das Kommando der internationalen Truppe einem gemeinsamen Kommando von EU und Rußland unterstellt werden – wie solche Modelle, die doch de facto auf eine Teilung des Kosovo hinauslaufen würden. Darunter fällt der letzte Woche von Tschernomyrdin in Belgrad unterbreitete Vorschlag, im Norden Kosovos einen Teil der serbischen Armee- und Polizeikräfte zu belassen sowie Soldaten „neutraler Staaten (Rußland, Finnland, Ukraine etc.) zu stationieren, im Süden des Kosovo hingegen Nato-Soldaten, deren Länder nicht am Luftkrieg beteiligt sind (z. B. Griechenland, Portugal) und lediglich außerhalb der Provinz Einheiten aus aktiv am Luftkrieg beteiligten Ländern (wie USA, Großbritannien, Frankreich oder Deutschland).

Führen die Verhandlungen im Verlauf dieser Woche zu keiner Einigung oder substantiellen Fortschritten, könnte sich der russische Präsident Jelzin gezwungen sehen, seinen Vermittler Tschernomyrdin zurückzuziehen. Für Montag plant die Duma in Moskau die Verabschiedung einer Resolution mit scharfer Kritik an den Nato-Luftangriffen, der Anklage des UNO-Kriegsverbrechertribunals gegen Miloevic sowie am „Versagen“ der Regierung Jelzin im Kosovo-Konflikt.

EU-Unterhändler Ahtisaari alleine würde in Belgrad als Gesprächspartner kaum akzeptabel sein. Laut informellen Planungen in verschiedenen Nato-Hauptstädten würde dann ein Beschluß der Allianz über den Einsatz von Bodenkampftruppen im Kosovo bis Mitte Juni erfolgen, da die Zeit bis zum Wintereinbruch sonst zu knapp wird. Vorgesehen ist eine Größenordnung von bis zu 160.000 Nato-Soldaten. Etwa 90.000 Soldaten würden die USA entsenden.

Ein entsprechender Nato-Beschluß erfordert – wie sämtliche seit Oktober 98 getroffenen Entscheidungen der Allianz im Zusammenhang mit dem Luftkrieg – die ausdrückliche Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. Die Nato geht davon aus, daß auch die rot-grüne Bundesregierung trotz aller früheren anderslautenden öffentlichen Erklärungen ihre Zustimmung zum Bodenkrieg erteilt. Darauf deutet auch die jüngste Äußerung von Kanzler Schröder, der am Montag lediglich eine deutsche „Beteiligung“ an Kampfhandlungen im Kosovo ausschloß. Allerdings würden die bislang schon in Makedonien und Albanien stationierten Fernmelde-, Logistik- und Nachschubverbände der Bundeswehr, deren Umfang nach jüngsten Entscheidungen der Hardthöhe auf über 5.000 Soldaten erhöht werden sollen, im Rahmen eines Bodenkrieges der Nato wichtige Funktionen übernehmen, ohne die Kampfhandlungen anderer Bündnisstaaten innerhalb der Grenzen des Kosovo nicht möglich wären.

Andreas Zumach, Genf