piwik no script img

Über das Leben im Sonderangebot  ■   Von Susanne Fischer

Die Verkäufer im Kaufhaus sehen alle aus, als ob sie Otto hießen. Wenn sie nicht so aussehen, benutzen sie dafür kein Deo. Manchmal fällt auch beides zusammen. Wie wird man bloß Verkäufer im Kaufhaus? Sind das die Jungen, die schon in der Sandkiste ihrem Kumpel ein „Tollege tommt dleich!“ entgegenschmettern, wenn der ihr Förmchen borgen will? Oder doch eher die, die ihre Pubertät vor den Computer- und CD-Verkaufsregalen verbringen und den Laden einfach nicht mehr verlassen, bis sie angestellt werden, weil man sonst in der Welt auch keine Verwendung für sie hat? Wurden sie von gedankenlosen Eltern mit Kaufmannsladenspielen getriezt, bis sie sich keine Welt mehr jenseits der Registrierkasse vorstellen konnten?

Wir anderen haben es ja gut. Wir betreten das Geschäft, zum Beispiel ein Kaufhaus, lassen uns wegen einer Glühbirne durch drei Abteilungen schicken, haben am Ende siebenmal unser Sprüchlein aufgesagt („Entschuldigung, ich hätte gerne“ – so weit ist es nämlich längst, daß man sich entschuldigen muß, wenn man im Laden etwas kaufen möchte) und sieben verschiedene Antworten bekommen ( „Im anderen Haus“, „Im zweiten Stock“, „Ich bin hier nur der Dekorateur“, „Die Kasse ist geschlossen“, „Da hinten, links, nein rechts, ach fragen Sie doch den da mal“, „Ich bin hier neu“, „Sie sehen doch, daß ich gar nicht da bin“). Ich habe noch nie begriffen, wie der Kapitalismus funktioniert, aber anscheinend geht es so ähnlich wie im Sandkasten: Also, ich bin jetzt wohl der Verkäufer und du willst wohl einen leckeren Kuchen kaufen. Ja. Und dann kriegst du einen Haufen Sand und legst Luftgeld dafür hin. Ein Kaufhaus ist ein imaginäres System. Man kann es sehen, doch es funktioniert nicht.

Die anderen, die sich das für uns ausdenken, die müssen zur Strafe den ganzen Tag dableiben. Ein Tag im Kaufhaus beginnt mit dem Frühappell (und jetzt alle im Chor: „Das führen wir nicht! Das haben wir nicht! Das kommt frühestens in einer Woche!“), quält sich bis zur Mittagspause, in der kleine Unverdaulichkeiten im Shop-Restaurant eingefahren werden, wonach der Gürtel zwickt, aber es hilft ja nichts, und setzen darf man sich auch nicht, schläft man halt im Stehen. So rappelt der Tag mühsam immer weiter bis zum Abend. Man sieht Kunden kommen und gehen durch die hübschen Kaufhaus-Glastüren. Ja, gehen. Die dürfen gehen! Nur man selbst trägt die Schmiedekugel aus dem Angebot an einer langen Kette am Bein. Rache schwört Otto ohne Deo. Glühbirne? Wie, Glühbirne? Eine Glühbirne wollen Sie kaufen? Nur zu. Wir werden Sie schon bis Ladenschluß hinhalten.

Natürlich weiß ich auch, daß er in Wahrheit gar nicht Otto heißt. Er heißt Kevin, Mark oder Mirko. Auf seinem Namensschild steht Hr. Muller. Üs hatten sie wahrscheinlich gerade keine. Die Kundin muß kein Namensschild tragen. Sie darf sich hier so schlecht benehmen, wie sie will, und bleibt doch anonym, während Hr. Muller für jeden durch sein Etikett als Kaufhausknecht zu erkennen ist. Fehlt bloß noch, daß DM 17,95 hinter seinen Namen gedruckt wird. Hr. Muller kann nichts dafür, ich weiß es. Und wer eigentlich das Loch in das Panzerglas der Kaufhaustür geschlagen hat, will ich gar nicht wissen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen