Gipfeltreffen der Suppenhühner

Drei Jahre lang machte man sich im Hause Bertelsmann anheischig, dem Land eine neue Kommunikationsordnung zu geben – nun steht man in Gütersloh vor einem Desaster. Eine Posse unter Deregulierern    ■ Von Lutz Meier

Was wäre davon zu halten, wenn sich die vereinigten Steuerflüchtlinge zusammenfänden, dem Staat eine Reform der Finanzprüfung vorzuschlagen? Wie sähe es aus, wenn sich die zur Nachprüfung verdonnerten Autobahnraser mit dem Verkehrsminister träfen, ihm einen von Grund auf neu konzipierten Bußgeldkatalog schmackhaft zu machen? Privatinteressen zu Gemeinwohldenken umzudefinieren gehört längst zum kleinen Einmaleins der Politikberatung. Man kann es Lobbying nennen oder lean corruption.

Ganz anders sieht es aus, wenn die Bertelsmann-Stiftung in Sachen Medienreform tätig wird. Wenn sie in Gütersloh tagelang Ministerpräsidenten, Landesmedienanstaltsdirektoren und öffentlich-rechtliche Intendanten durchfüttert, Sender- und Länderspitzen zu „Geheimtreffen“ zusammenführt, Gutachten präsentiert, Preise vergibt – alles mit dem Ziel, die Medienaufsicht („nicht zukunftsfähig“) in Deutschland neu zu regeln und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk („überholte Grundlage“) im Lande seinen Platz zuzuweisen. Lobbying? Obwohl die Stiftung personell und organisatorisch eng mit Europas mächtigstem Medienkonzern verknüpft ist, will sie in diesen Dingen „der neutrale Gesprächspartner sein“, wie der neue Stiftungschef Mark Wössner bescheiden sagt, bis zum Herbst noch Vorstandschef der Bertelsmann AG.

Die Bilanz dieser Gesprächsarbeit über drei Jahre wiegt schwer: Drei Jahre ausgefeilte Tagungsarbeit mit handverlesenen Gästen und drei Kilo Papier. Einiges davon hat durchaus Wirkung gehabt: Da ist eine bläuliche Broschüre namens „Kommunikationsordnung 2000“, über die ZDF-Intendant Dieter Stolte Krach mit der ARD bekam. Er hatte an diesem „Grundsatzpapier der Bertelsmann-Stiftung“ mitgewirkt, dem vorgeworfen wird, es solle am Ende die Öffentlich-Rechtlichen kleinraspeln. Da sind Thesen zur Medienaufsicht, über die sich ein paar Bonner SPDler nach dem Wahlsieg ein wenig mit ihren Länderregierungen in die Haare kriegten, weil die fürchteten, ihnen würden Kompetenzen weggenommen. Und da ist schließlich ein längeres Gutachten, „die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ zu definieren, was dazu führte, daß derzeit allerlei Neben- und Gegengutachten präsentiert werden.

Viel reden und schreiben und mächtige Leute freundlich behandeln – sowas zieht manchmal Kreise. Die Bertelsmann-Stiftung zeigt gern ein Bild, auf dem ein Stein ins Wasser fällt. Am Dienstag sind die Kreise endgültig verebbt. „Die Diskussion wird seit zehn Jahren geführt“, hob ZDF-Chef Stolte nach zwei Tagen Symposium über „Zukunftsentscheidungen in der Kommunikation“ ausgesucht unwirsch an, „und sie langweilt mich“. Da war das Desaster für die neutralen Gesprächspartner aus Gütersloh längst da. „Seit zehn Jahren nicht ein einziger neuer Gedanke“, bellte der sonst eher verbindliche Mainzer Intendant zur Begründung, „daß ich mich nach dem Ablauf der Veranstaltung frustriert fühle.“ Resigniert resümierte auch der Erfurter Unirektor Peter Glotz, von der Bertelsmann-Stiftung zu einem Vormann ihrer Medienaktivitäten gemacht, „daß eine Fortsetzung der Debatte nicht weiterführt“. Und Stiftungschef Mark Wössner, ein Mann, der sonst aus Enttäuschungen Glanzmeldungen zu machen weiß, konstatierte bündig: „wenig neue Substanz“. Bei der Diskussion zur Medienaufsicht sei man „als Adlergruppe gestartet“ und „als Suppenhühner gelandet“.

Die Regierungschef Kurt Biedenkopf und Wolfgang Clement sowie Bayerns Staatskanzleichef Erwin Huber, alles den Zielen des Hauses Bertelsmann gegenüber äußerst freundlich gesinnte Männer, hatten nämlich bei den konkreten Vorschlägen der von den Stiftern bestellten Gutachter und -experten schon am Vortag abgewunken. Zum Thema Medienaufsicht hatte die von der Stiftung bestellte Beratungsfirma Booz, Allen & Hamilton dabei lediglich vorgeschlagen, statt der 15 Landesmedienanstalten, die Programme lizensieren und Kanäle verteilen, könne es doch auch eine einzige geben. Und bald (Biedenkopf: „in zehn Jahren“) brauche man dann gar keine speziellen Beschränkungen (bei Medienkonzentration Werbung, Jugendschutz, Kanälen und Lizenzen) mehr für elektronische Medien.

Es ist eine Deregulierungsdebatte wie viele, die mit dem schlichten Dilemma hadert, daß das vermeintliche wirtschaftliche Ziel der Schleifung von Regeln die gesellschaftspolitische Begründung der Regeln ersetzen soll und institutionelle Änderungen inhaltliche Ideen. Unsere ganze Medienordnung, stellte beispielsweise der CDU-Chef-Medienpolitiker Günther Oettinger fest, sei „zuwenig auf die Frage der Konkurrenzfähigkeit mit Beverly Hills ausgerichtet“. Statt einer Diskussion über den Sinn von Regeln, die Arabella zuviel Sexthemen, den Produktionsfirmen die Schleichwerbung oder Bertelsmann zu viele Sender verbieten, führte die Stiftung eine Diskussion über Effektivität und Weltmarktfähigkeit der Aufsicht und ihrer Institutionen. Da standen dann aber die konservativen Medienpolitiker den konservativen Apologeten der Medienwirtschaft im Weg. Denn die Institutionen haben sich für die Medienpolitiker längst als bequeme Verteilmaschinen für Geld, Jobs und regionalen Glamour erwiesen – eben darum sind sie ja zu Recht als ineffektiv verschrien.

Wenn es um Medien geht, wird in Gütersloh über Reform eher wenig gesprochen. Das gilt auch für die Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Was den schwierigsten, weil mit Gebühren bezahlten und mit gesellschaftlichem Auftrag versehenen Konkurrenten des Bertelsmann-Senders RTL angeht, wollten die Stifter eine schlichte Begriffsänderung durchsetzen, die aber weite verfassungspolitische Dimensionen hätte. Der Kern der Argumentation: Die Öffentlich-Rechtlichen sollen nicht mehr die demokratiepolitische Basis der öffentlichen elektronischen Kommunikation sein, wie es das Verfassungsgericht als „Grundversorgung“ definiert hat. Der Auftrag von ARD und ZDF solle statt dessen auf ihre gesellschaftlichen Aufgaben begrenzt werden, zum Beispiel auf den, all das zu senden, was die Privaten nicht leisten können. Was „Funktionsauftrag“ genannt wird und verfassungspolitisch noch recht hochtrabend daherkommt, endet in der Praxis aber in dem klassischen Streit zwischen kommerziellem und Gebührenrundfunk. Dann rufen die Privatsender empört „Expansion“, und die Öffentlich-Rechtlichen fürchten „Begrenzung“. Einzig der ehermalige Verfassungsrichter Ernst-Gottfried Mahrenholz wagte ein gesellschaftspolitisches Argument: Das Fernsehen, auch das öffentlich-rechtliche, solle offenbar nach den Vorstellungen der Bertelsmann-Stiftung nicht mehr am „Publikum eines freiheitlichen Gemeinwesens“ ausgerichtet sein, sondern „am individuellen Konsumenten“, schimpfte er. Er warf der Stiftung und ihrem umstrittenen Gutachter Martin Bullinger schlicht „Umdefinierung von Öffentlichkeit“ vor.

Auf diesem Niveau wußten leider dieApologeten des Stiftungskonzepts nicht zu antworten. In der Sache ist es daher eher ein Segen, daß die dreijährige Stiftungsoffensive ein so resignatives Ende gefunden hat. Obwohl sie auch hier die spannendsten Fragen stellten – aber die Antworten ...