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Bis zur Demokratie ist es noch weit

Am Montag finden in Indonesien die ersten freien Parlamentswahlen seit 40 Jahren statt. Die Opposition hat Siegchancen, doch das Militär ist noch stark  ■   Aus Jakarta Jutta Lietsch

„Mega! Das ist Mega!“ rief die Menge, als der Hubschrauber über dem alten Airport von Jakarta kreiste. Die Kandidatin der „Indonesischen Demokratischen Partei des Kampfes“ (PDI-P) schwebte zu ihrer letzten Großkundgebung vor den Parlamentswahlen am kommenden Montag ein. Spätesten in diesen letzten Tagen schien kein Zweifel möglich, wer siegen wird: die 52jährige Megawati Sukarnoputri, deren Porträt auf Millionen Postern, Fahnen und T-Shirts allgegenwärtig ist.

Kein anderer Kandidat aus der verwirrenden Vielfalt von 48 Parteien konnte in den vergangenen Wochen die Plätze so füllen wie die Tochter des Staatsgründers Sukarno. Niemand war zu jung, zu alt oder zu schrill für den Karneval der Parteien: Fünfköpfige Familien mit Säuglingen quetschten sich auf ihre Mopeds und knatterten hinter Lastwagen her, auf deren Ladefläche sich fröhliche Transvestiten räkelten. Greise wiegten ihren in den rotschwarzen PDI-Parteifarben getünchten nackten Oberkörper zur Musik von Rockbands. Die Armen aus den Slums, die beim Aufstand gegen das Suharto-Regime vor einem Jahr plündernd durch Jakarta zogen, tanzten nun friedlich auf der Straße und lächelten Yuppies zu, die ihre teuren Geländewagen mit Megawati-Postern verklebt hatten. „Sie war gegen Suharto, und sie hat, wie wir, unter ihm gelitten“, begründet der junge Computerfachmann Agus seine Vorliebe.

Aussichtsreich sind auch der Politikprofessor Amien Rais und seine „Nationale Mandatspartei“ und der respektierte alte Abdurrahman Wahid mit seiner „Nationalen Erweckungspartei“. Beide haben ihre Anhänger vor allem in großen konkurrierenden Muslimorganisationen. Keiner wird allein die Regierung bilden können. Mit einem Bündnis wollen sie die „Kräfte des Status Quo“ besiegen: Staatschef B. J. Habibie und seine Golkar-Partei, die dem im Mai 1998 gestürzten Präsidenten Suharto jahrzehntelang dienten.

Obwohl die Opposition so übermächtig scheint – und Golkar-Politiker sich mancherorts aus Angst vor der zornigen Bevölkerung gar nicht auf die Straße wagten – ist das Ergebnis dieser ersten freien Parlamentswahlen seit über 40 Jahren völlig offen. Denn: Wer in den letzten Tagen eine rote Baseball-Mütze aufsetzte, muß noch lange nicht für Megawatis Partei stimmen. „Golkar ist noch nicht aus dem Spiel“, warnte die Jakarta Post die Opposition.

Auch wenn die Indonesier heute so frei wie nie über Korruption und Ungerechtigkeit des alten Regimes debattieren, fühlen sich viele keineswegs nur als Opfer Suhartos: In Sulawesi zum Beispiel, der Heimat Habibies, oder in Zentren wie der Stadt Bandung profitierten viele vom ungleichen Wohlstand. Als Minister hatte Habibie dafür gesorgt, daß viel Geld in seine Heimat floß.

Die schwere Wirtschaftskrise der letzten zwei Jahre, die das Pro-Kopf-Einkommen von 1.200 auf 400 US-Dollar schrumpfen ließ, traf vor allem die Insel Java. Viele Randregionen blieben verschont. Dort sitzen nach wie vor die alten Golkar-Funktionäre. Habibie versuchte im Wahlkampf auch, den Ruf des Suharto-Jüngers loszuwerden. Er schickte Generalstaatsanwalt Andi Ghalib und Justizminister Muladi in die Schweiz und nach Österreich, um nach Konten Suhartos zu fahnden.

Niemand hielt sich an die Begrenzung der Parteispenden: Wie früher finanzierten Unternehmer die aussichtsreichsten Politiker großzügig. Habibie, aber auch Megawati und auch Rais schwammen offenbar in Geld. „Wie unter Suharto glauben die Firmen, daß der Wahlsieger sich später mit lukrativen Regierungsaufträgen bedanken wird“, sagt Alex Irwan, der einWeltbankprojekt in Jakarta leitet. Oppositionelle beklagen, Politiker der Regierung hätten Welbank-Gelder für ihren Wahlkampf mißbraucht.

Die Wahlen am Montag sind nur der erste Schritt zur neuen Regierung. Der Präsident oder die Präsidentin wird erst im November gewählt. Wenn voraussichtlich schon am Dienstag das inoffizielle Wahlergebnis bekannt ist, beginnt eine gefährliche Phase: Falls Golkar sehr gut abschneidet „könnten die Leute das Ergebnis nicht anerkennen und randalieren“, fürchtet Andi Mallarangeng von der nationalen Wahlkommission. Selbst wenn es ruhig bleibt, könnte es Monate dauern, bis sich die Parteien auf Koalitionen und Präsidentschaftskandidaten einigen.

Die politische Lähmung fällt in eine Zeit, in der sich Konflikte zusammenbrauen – vor allem in den rebellischen Regionen Ost-Timor, Irian Jaya und Aceh (siehe Reportage im taz-mag). Armeechef Wiranto hatte zu Beginn des Wahlkampfes versprochen: „Wir bleiben neutral“ – und dies außer im annektierten Ost-Timor und rebellischem Aceh gehalten. Still hat Wiranto seine Macht gestärkt. Sein Name fällt immer häufiger als möglicher künftiger Vizepräsident – egal in welcher Regierung. Alle wichtigen Parteien waren in den letzten Wochen auffällig freundlich zum Militär. Keiner forderte Wiranto auf, sich für die jüngsten Massaker in Aceh oder Ost-Timor zu verantworten. Zahlreiche Kandidaten der Megawati-Partei sind hohe Exoffiziere. Bildungsminister Juwono Sudarsono warnt vor Illusionen: „Demokratie? Soweit sind wir noch lange nicht. Vielleicht in 10 bis 15 Jahren.“

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